Iphigenie tanzt

 

Ein moderner mitteleuropäischer Hörer erwartet von einer Oper, die Iphigenie gewidmet ist, eine schwerblütige Tragödie. Der spanische Komponist José de Nebra (1702-1768) machte aus der Geschichte der Priesterin Iphigenia in Tracia, die in Tauris ihren eigenen Bruder Orestes opfern soll und ihn hingegen befreit, eine fetzige Zarzuela, deren Uraufführung im Januar 1747 in Madrid stattfand (es ist eine von nur drei überlieferten Opern dieses Komponisten). Nebra, der hauptberuflich Hoforganist in Madrid war, gehört mit Terradellas und anderen zu jenen italianisierenden Komponisten des spanischen Settecento, die erst in den letzten Jahren aus den dunkelsten Verließen der Musikgeschichte hervorgeholt wurden.Emilio Moreno und sein Concierto español gehören zu den besten Schatzgräbern Spaniens. In ihren Aufnahmen verbinden sie musikologische Akkuratesse, technisches Können und südländische Verve.

Auch in dieser Aufnahme verleiht Moreno der lebendigen, bisweilen regelrecht tanzenden Musik einem natürlichen Duktus, der puren Hörgenuß garantiert. Lediglich die nervenden Kastagnetten hätten ab und zu wieder beiseite gelegt werden können, aber insgesamt bieten Moreno und sein Ensemble höchstes instrumentales Niveau in den accompagnamenti und in den virtuosen Instrumentalsoli. Die Stimmen vermögen Stil und Esprit der Musik idiomatisch wiederzugeben, mehr aber auch nicht. Sowohl die erfahrene Marta Alamjano als auch die übrigen können die Brillanz der damaligen Sängerinnen nur im Ansatz wieder beleben, zumal sich ihre Stimmen viel zu wenig in Timbre und Stimmcharakter unterscheiden. Nicht ganz nachvollziehbar ist ferner die Entscheidung, alle Dialoge der Zarzuela zu streichen. Die Mischung aus Gesang und Sprechdialogen ist bekanntlich wie im deutschen Singspiel eine große Herausforderung für die Interpreten, die aber keine mutlose Zusammenstreichung der Werke rechtfertigt. Wäre eine dezente Reduzierung der ursprünglichen, wohl stundenlangen Dialoge auf CD-taugliches Format nicht besser gewesen? Trotzdem kann der moderne Hörer dank dieser beiden CDs ein kleines musikalisches Juwel in einer mitreißenden Aufführung kennenlernen.

M. C. F.

 

José de Nebra, Iphigenia en Tracia. mit Marta Almajano/Ifigenia, María Espada/Orestes, Raquel Andueza/Dircea/Michilla, Soledad Cardoso/Polidoro, Marta Infante/Cofieta; El Concierto español, Emilio Moreno, 2 CD Glossa GCD 920311