Römische Nachklänge

Bizet hat in seinen 37 Lebensjahren nicht allzu viele Kompositionen hinterlassen, vieles ist Fragment geblieben, und die Orchesterwerke würden auf rund 3 CDs passen. Sucht man da die wenig gespielten aus, ist man auch schnell beim Bodensatz des Gesamtwerkes angelangt, das heißt bei den Werken, die eigentlich unter der Grenze des Gelungenen liegen. Also ob A-Dur Ouvertüre, Trauermarsch, Vaterlandsouvertüre oder Rom-Sinfonie, es handelt sich um Musik, die wir vermutlich heute nicht mehr hören würden, wenn nicht der Name Bizet draufstünde. Das Tragische an Bizet ist, dass er kein Musiker war, der schnell seine individuelle Sprache, seine Souveränität gefunden hat – anders als Mozart, Bellini oder Schubert hat er fast verzweifelt danach gesucht. Natürlich konnte Bizet immer mal wieder auch vor der Carmen einen Volltreffer landen, doch oft dokumentiert seine Orchester-Musik auch ein sehr verkrampftes Erfolg-Haben-Wollen. Gerade die Bizet wichtigen Werke wie die Rom-Symphonie, an der der Rom-Preisträger ein ganzes Leben herumgefeilt hat, erweist sich – auch bei erneutem Hören auf dieser Scheibe – als recht anämische und schwunglose Angelegenheit. Beim Blick auf die CD sollte man eigentlich vermuten, dass man trotzdem an der unausgegorenen Musik Bizets einigen Spaß haben kann. Der Dirigent Jean-Luc Tingaud, ein Ur-Pariser, gehört zu den pfiffigen Aufwertern „halbseidener“ Musik.  Ich mag diesen Dirigenten; er ist als Mitvierziger für einen Orchesterleiter noch relativ jung und hat bei Opernfreunden vor allem als Festivaldirigent einen Stein im Brett. Ob Wexford, Martina Franca oder Wildbad, er konnte da viele Zuhörer begeistern mit seiner leidenschaftlichen, energiegeladenen Art, und live ist er ein echter Zauberer, wenn es darum geht, dem Publikum weniger bekannte Werke würdig zu präsentieren. Doch hier ist irgendwas schiefgelaufen. Mit dem irischen RTE-Orchester in seiner zweiten Studioaufnahme für Naxos bleibt er über weite Strecken enttäuschend, uninspiriert und ohne Feuer. Und auch wenn alles immer präzise, gut geprobt und solide klingt, springt der Funke doch eigentlich nur in den besseren Stücken wie der Petite suite op. 22  über. Wer einen Tingaud in Bestform hören will, sollte sich Rossinis Siege de Corinth unter seiner Leitung beim selben Label besorgen (Georges Bizet: Roma, Rom-Sinfonie, Petite suite op.22 u.a.; RTE National Symphony Orchestra, Jean-Luc Tingaud, Naxos 8.573344). M. K.