Opernparaphrasen

 

Die Herzogin benutzt Patou, genauer den 1929 von Jean Patou kreierten Duft „Joy“, mit dem der Pariser Modeschöpfer der durch den Börsencrash ausgelösten Depression ein Zeichen der Freude in Form einer Duftwolke entgegensetzen wollte. Der als teuerstes Parfum der Welt aus Blütenessenzen gemischte Duft war das Lieblingsparfum der Duchess of Argyll, deren skandalöser Lebenswandel die britische Boulevardpresse bis zu aufsehenerregenden Scheidungsprozess in den 1960er Jahren, nachdem sie die feine Gesellschaft verstoßen hatte, und ihrem Tod in Armut 1993 beschäftigte. Die 1995 uraufgeführte, bis heute mehrfach gespielte Kammeroper Powder Her Face über das Leben der Dirty Duchess machte den 24jährigen Komponisten, Dirigenten und Pianisten Thomas Adès auf einen Schlag berühmt. Den Erfolg wiederholte er in dem umjubelten The Tempest nach Shakespeare 2004 an Covent Garden und dem noch nicht ganz so vielgereisten Würgeengel (The Exterminating Angel nach Bunuel) 2016 in Salzburg. Zwei dieser Opern stehen auf dem Programm der im Juli 2018 in Tanglewood und im März 2019 in Boston eingespielten Werke für zwei Klaviere, Soloklavier und Orchester und Klavier (CD MYR027) mit dem Tanglewood Music Center Orchestra, Adès als Dirigent und Pianist und dem Pianisten Kirill Gerstein.

Mit den vier Sätzen der Concert Paraphrase on Powder Her Face kehrt Adès quasi zu seinen Anfängen zurück. Zusammen mit Gerstein spitzt er die grotesken, ironischen und skurrilen Szenen, laut Adès die Schilderung einer nicht mehr ganz taufrischen Herzogin am Ende des 20. Jahrhunderts und am Ende der Einflussnahe des britischen Adels zu virtuosen Momentaufnahmen zu, in deren Überhitztheit auch Momente der Verzweiflung aufscheinen und mit denen er die Kunst der Opernparaphrase vom 19. ins 21. Jahrhundert rettet. Zuerst kommt, so Adès, meine Ode an die Freude (Ode to Joy), womit das Parfum der Herzogin gemeint ist, Joy von Patou. Dann folgt die fünfte Szene: „Is Daddy Squiffy?“ Die dritte Szene ist die vierte Szene der Oper, die Arie „Fancy Being Rich!“. Die Paraphrase endet mit der achten und letzten Szene der Oper und der Arie „It Is Too Late“, in der der tote Herzog als Hotelmanager wiederkehrt, um die Herzogin aus dem Zimmer zu werfen, in dem sie lebt, und dem abschließenden Tango, mit dem das Zimmer für den nächsten Gast vorbereitet wird.

Ebenfalls als Weltersteinspielung spielt Gerstein die im engen Zusammenwirken mit Adès entstandene Berceuse aus The Exterminating Angel, mit der der gemeinsame Selbstmord und Liebestod des Liebespaars Eduardo und Beatriz beschrieben wird: leise, langsam und von unerbittlicher Kraft. Heller, strahlender, leichter und doch von profilierter Schärfe dann die drei Moderato, Prestissimo und Grave überschriebenen und von Gerstein mit kristalliner Witzigkeit gespielten Chopin-Reminiszenzen von 2010.

Das gewichtigste Stück ist das knapp halbstündige Werk für Klavier und Orchester In Seven Days, eine musikalische Schöpfungsgeschichte in Gestalt einer Klavier-Sinfonie. Adès erklärt seinen Schöpfungsbericht: Das Stück ist eine siebenteilige Entwicklung von Ideen, die wiederkehren und sich wandeln, die sich ausbreiten und explodieren, als würde der genetische Code des Universums in eine Musik ausbrechen, die sowohl organisch als auch geometrisch ist: von den Fugen, mit denen die Lebewesen auf der Erde beschrieben werden, zu dem kristallinen Bild des Chaos am Beginn der Zeiten, mit dem das Stück öffnet und schließt – als wäre das Universum ziemlich zufrieden mit seinem bescheidenen statischen Zustand, bevor ein Schöpfer auf den Plan tritt und alles für immer verändert – zu den langsamen, kaleidoskopischen Spiralen galaktischer Energie, die im Land-Gras-Erde-Satz erklingen. Auch ohne dem ständig wechselnden Perspektiven und den Atomen des Chaos als Hörer auf die Spur zu kommen, kann man sich von dieser gut gemachten, eminent wirkungsvollen Musik und dem Zusammenspiel des Orchesters mit dem kraftvollen, wiederum stupend virtuosen und von Gerstein mit filigraner sphärischer Schärfe und souveränem Klanggespür gespielten Klavierpart beeindrucken lassen. Rolf Fath