Meister raffinierter Inszenierung

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Lorin Maazel (1930 – 2014) war eine schillernde Persönlichkeit. Der im Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine geborene Sohn einer russisch-jüdischen Familie studierte schon als Kind Dirigieren und stand bereits mit neun Jahren vor einem großen Symphonieorchester. Maazel war ein universal gebildeter hoch-intellektueller Geist, er studierte 1946 bis 1950 Mathematik, Philosophie und Sprachen, setzte seine musikalische Ausbildung fort und trat danach rasch in den USA, Europa und anderen Ländern auf. 1964 übernahm er als Nachfolger von Ferenc Fricsay für 11 Jahre die Leitung des Radio-Symphonie-Orchesters (RSO) Berlin (heute Deutsches Symphonie-Orchester, DSO). Zusätzlich war er 1965 bis 1971 Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper Berlin. Maazel gastierte bei großen und berühmten Orchestern und Festivals, band sich für einige Jahre an die Wiener Staatsoper, er war Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestra (1988 – 1996), des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (1993 – 2002) und ab 2002 Nachfolger von Kurt Masur beim New York Philharmonic Orchestra. Seinen 2012 auf drei Jahre abgeschlossenen Vertrag als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker konnte er nicht mehr erfüllen. Er starb am 13. Juli 2014 in seinem US-amerikanischen Wohnsitz Castleton, Virginia. Dort hatte er auch 2008 ein Festival zur Förderung junger Musiker gegründet.

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Lorin Maazel war Dirigent, Geiger und Komponist. Er verfügte über ein unbestechliches Gehör und ein fotografisches Gedächtnis. Sein Dirigieren war klar und präzise, dazu elegant, wirkte gelegentlich aber auch manieriert. Maazel war ein Meister der raffinierten orchestralen Inszenierung – nicht nur, aber doch ganz besonders bei Werken von Strauss, Mahler oder Wagner. Gelegentlich griff er noch zur Geige (auch beim Neujahreskonzert der Wiener Philharmoniker). Noch in höherem Alter überraschte er mit veritablen Aufführungen der Violinsonaten von Johannes Brahms. Als Komponist hatte er nur bescheidene Erfolge. In seinen Werken, u. a. virtuosen Konzerten für befreundete Interpreten oder der Oper „1984“ blieb Maazel epigonal, eklektizistisch.

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Die vorliegende Box mag nichts Neues enthalten, bietet aber wohl die Wiederbegegnung mit vor allem früh entstandenen Aufnahmen, die bleibende diskographische Bedeutung haben. Die gewichtigsten Einspielungen sind dabei frühe, ungewöhnliche, großenteils faszinierende Produktionen mit den Berliner Philharmonikern. Mit diesem Orchester, dem seine besondere Liebe galt und dessen Chefdirigent er in Nachfolge Herbert von Karajans gerne geworden wäre – dem er allerdings auch nach der Wahls Claudio Abbados für einige Jahre die kalte Schulter zeigte – ging Maazel zum ersten Mal am 27. Februar 1957 ins DG-Aufnahmestudio, seine letzte Aufnahme mit den Philharmonikern für das Gelblabel fand 1985 statt. Aufhorchen lassen bereits die ersten Einspielungen, „Romeo und Julia“ Kompositionen von Berlioz, Tschaikowsky und Prokofjew. Wann hat man schon die vier Sätze aus Berlioz‘ „Romeo et Juliette“ so spannungs- und kontrastreich, so mitreißend gehört? In markanten Ausschnitten aus Prokofjews „Romeo und Julia“-Ballett zeigen sich entscheidende Qualitäten des Dirigenten: seine Aufmerksamkeit, ja Liebe zum Detail, zu Klarheit und Transparenz, das Gespür für die Dramaturgie, die Fähigkeit zu raffinierter Inszenierung.

Von Schubert liegen fast alle Symphonien vor, es fehlen nur die erste und die letzte, die C-Dur-Symphonie D 944. Die Werke werden nie über einen Kamm geschert oder gleichförmig musiziert, sondern ihren Eigenarten gemäß und individuell: vom symphonischen Fast-Beginn (Symphonie Nr. 2), der nichts Unfertiges hat, über die gar nicht „tragisch“ gedeutete Vierte und die zu Unrecht vernachlässigte Sechste bis zur „Unvollendeten“, die hier große, klassische, Symphonie, frei von falscher Romantisierung ist. Schuberts bewegte Sätze sind nicht übertrieben schnell, sondern kraftvoll, energisch bis drängend, die langsamen bleiben nie auf der Strecke. Besondere Merkmale sind bei allen Interpretationen die Klarheit und Durchsichtigkeit. Man hört immer die Struktur der Musik, Themen, Gegenthemen das Miteinander und Ergänzen von Soli, die kammermusikalischen Momente, klanglich wird nicht aufgetrumpft. Solche Eigenschaften bewähren sich auch in den Interpretationen von Beethovens Fünfter und Siebter Symphonie, von Mendelssohns Vierter und Fünfter, Brahms‘ Dritter (der freilich das Leidenschaftliche fehlt) und Tschaikowskys Vierter Symphonie (virtuos, äußerst präzise, oft drängend, aber nie lärmend). Unter den in der Box versammelten Tongemälden stechen vor allem Respighis „Pini di Roma“ (1959) hervor. Was für eine großartige Klang- und Farbenpalette entfalten die Philharmoniker hier!

In den 1980er-Jahren entstanden unter Maazels Leitung exemplarische Einspielungen der drei Symphonien, der Tondichtungen „Der Fels“ und „Die Toteninsel“ sowie der symphonischen Tänze von Sergej Rachmaninow. Maazel nimmt Rachmaninow ernst als symphonischen Komponisten in der klassischen Tradition, als Schöpfer raffinierter Orchestermusik mit vielen Facetten und Stimmungen. Das ist eben nicht (vermeintlicher) Breitwand- oder Hollywoodstil, nicht ein Baden Klang und Schwelgerei, sondern farbige, oft raffinierte, virtuose Musik, leidenschaftlich und auch melancholisch. In der gleichen Zeit kam Berlioz‘ Symphonie „Harold in Italien“ mit dem als beredtem Erzähler fungierenden Solo-Bratscher Wolfram Christ heraus, ferner Tschaikowskys Violinkonzert mit Gidon Kremer (der nicht mit Virtuosentum protzt), Bartóks Konzert für Orchester, in dem die Berliner Philharmoniker ihre Virtuosität, Spielfreude und Reaktionsfähigkeit demonstrieren. Maazel war einer der wenigen Dirigenten, die sich Alexander von Zemlinskys Lyrischer Symphonie annahmen, diesem zwischen Symphonie und Orchesterliederzyklus changierenden Pendant zu Mahlers „Lied von der Erde“ und Schönbergs „Gurreliedern“. Das Orchester entfaltet die Farben und den Zauber der von Chinoiserien geprägten Musik. Das Vokale überzeugt weniger. Dietrich Fischer-Dieskau trifft den Ton der Lieder deutlich besser als Julia Varady. Da ist dann doch die unter Leitung von Bernhard Klee entstandene Aufnahme mit dem RSO Berlin und den Solisten Glenys Linos und Dale Duesing besser gelungen!

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In den frühen Aufnahmen Maazels mit dem Radio-Symphonie-Orchesters Berlin (RSO) kommen seine dirigentischen und überhaupt künstlerischen Qualitäten besonders eindrucksvoll zur Geltung. Dazu gehören sorgfältige Vorbereitung und meisterhafte Präzision, die Tully Potter in seinem lesenswerten Booklet-Essay als besondere Eigenschaften des Dirigenten hervorhebt. Die DG-Box vermittelt zwar nur einen Ausschnitt von der künstlerischen Potenz und dem hohen Rang des RSO – das zum größten ernstzunehmenden Konkurrenten der Berliner Philharmoniker wurde. Das liegt allerdings daran, dass viele Aufnahmen bei Philips erschienen. Doch was wir hörend erleben, ist exemplarisch. Erstaunlich, zu welch idiomatischer Aufführung das Orchester mit Maazel in Manuel de Fallas „Liebeszauber“ und Tänzen aus „Der Dreispitz“ findet. So subtil inszeniert, farbig, temperamentvoll, zugleich sehr kultiviert hört man diese Werke selten. Exemplarisch sind die Einspielungen der „Feuervogel“-Suite und des „Gesangs der Nachtigall“ von Igor Strawinsky: im Klang, in der Ausdruckspalette, vor allem aber auch, weil hier Geschichten erzählt werden! César Francks einzige Symphonie in d-Moll wird spannend, mit Verve, klangsatt, aber nie schwer musiziert.

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Die auf 10 CD dokumentierte Zusammenarbeit Maazels mit den Wiener Philharmonikern fällt weniger gewichtig aus. Den zwischen 1982 und 1984 aufgenommenen Symphonien Nr. 7, Nr. 8 und Nr. 9 von Antonín Dvořák fehlt insgesamt die böhmische Färbung, die Wärme und Individualität, der Klang ist nicht ideal, meist stark höhenbetont. Wie anders und eindrucksvoller sind da die Einspielungen einiger Orchesterwerke von Richard Strauss. Hier zeigt sich Maazels Kunst der musikalischen Inszenierung besonders gut. Die „Sinfonia domestica“ erlebt man als detail- wie abwechslungsreiche liebevolle musikalische Schilderung des Strauss’schen Familienlebens in Berlin-Charlottenburg. Was in der Tondichtung „Also sprach Zarathustra“ steckt, zeigen die Wiener Philharmoniker unter Maazels Dirigat schlagend – vom äußerst zarten, kaum hörbaren Beginn mit seinen tief(st)en Orgel-Pedaltönen bis zu hymnischen orchestralen Ausbrüchen, die indes nie vulgär oder erschlagend wirken. Der Klang ist brillant, satt, dabei sehr differenziert und durchsichtig, die Dynamik weit gespannt, die von Soli geprägten Passagen werden liebevoll ausmusiziert. Nie gehen wichtige Details verloren. Fünf CDs mit Musik aus Wiener Neujahrskonzerten fallen demgegenüber nicht ins Gewicht.

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Die Einspielungen von Maurice Ravels Operneinaktern „L’heure espagnole“ und „L’enfant et les sortilèges“ mit fabelhaften, zumeist französischen Sängerinnen und Sängern sowie dem Orchestre National de la Radiodiffusion Française sind immer noch wahre Schätze. Wie auch in der Aufnahme von Verdis Oper „Luisa Miller“ mit prominenten Solistinnen und Solisten (Placido Domingo, Katia Ricciarelli, Elena Obratzsova, Renato Bruson) sowie Chor und Orchester des Royal Opera House Covent Garden, zeigt sich der Operndirigent Maazel von seiner besten Seite.

Sehr gelungen ist schließlich eine ebenso anschauliche wie persönliche Einführung Maazels in die Welt des Symphonieorchesters mittels Benjamin Brittens „Young person’s guide to the orchestra“, an der Alt und Jung, erfahrene und neue Hörer ihre Freude haben können (vorausgesetzt, sie sind des Englischen mächtig!). Und Sergej Prokofjews „Peter und der Wolf“ erzählt der Schauspieler Alec Clunes manchem vielleicht etwas nüchtern, ohne Übertreibungen oder übertrieben affektgeladenem Ton – zu Recht, denn für genügend Spannung und Dramatik sorgt schon die Musik! Helge Grünewald

  1. jan neckers

    I heard Maazel conduct a Verdi-Requiem at the Sint-Baafscathedral in Gent in 1972. Magnificent performance. I asked my radio-colleague the amount of the fees, as it is often a yardstick of one’s reputation. (A German Mark was worth 15 Belgian franken at the time). Julia Hamari and Nicolai Ghiuselev got 60.000 franken. Teresa Zylis-Gara got 80.000 franken. Lorin Maazel was paid 110.000 and Carlo Bergonzi got away with 210.000 franken.

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