Nur einer der Berichterstatter glaubte in ihm „einen neuen Mahler-Dirigenten – es gibt ihrer zu gegenwärtig zu wenige“ – gefunden zu haben. Ansonsten waren die Reaktionen auf das mit Hoffnungen verbundene Wien-Debüt von Erich Kleibers Sohn zurückhalten, wenn nicht gar ausgesprochen negativ (sogar ein „Mangel an Musikalität“ wurde ihm attestiert). Carlos Kleiber war bereits 37 Jahre, als er 1967 im Rahmen eines Mahler-Zyklus‘ bei dem Wiener Festwochen – an dem auch Abbado, Maderna, Prêtre, Sawallisch und Swarowsky mitwirkten – von den Wiener Symphonikern als Einspringer für Josef Krips eingeladen wurde, Das Lied von der Erde zu dirigieren. Der zuvor auf anderen Quellen zugängliche (etwa Nuova Era) von den Wiener Symphonikern jetzt veröffentlichte Mitschnitt vom 7. Juni 1967 mit Christa Ludwig und Waldemar Kmentt als Solisten wäre vermutlich nicht so bemerkenswert, wäre die Aufnahme, an deren klanglichen Qualitäten man sich erst gewöhnen muss, nicht „das Zeugnis von Carlos Kleibers einziger Beschäftigung mit Gustav Mahler„ (WS 007). Es handelte sich um die 50. Aufführung des Werkes bei den Wiener Symphonikern seit seiner ersten Aufführung 1912 unter Bruno Walter, dem sich in der Folge bemerkenswerte Dirigenten wie u.a. Alexander von Zemlinsky, Schalk, Krauss, Knappertsbusch, nach dem Krieg Krips, Klemperer, Steinberg, Gielen und Mehta anschlossen. Das informative Beiheft, das die Umstände und Reaktionen um das Konzert auffächert, weist darauf hin, dass Kleiber sich damals mit den kurzen Proben zufrieden geben musste. Ausführlich schildert Alexander Werner in seiner umfangreichst recherchierten Carlos Kleiber-Biografie das Konzert, wozu er u. a. Waldemar Kmentt befragte, „Es war ein wunderschönes Konzert mit viel Tiefe. Carlos behandelte mich besonders freundlich. Das überraschte mich ein wenig, da er ja als schwierig galt. Er gratulierte mir, während er sich über Frau Ludwig beklagte, da sie er zu abgehoben fand“. Ludwig erinnert sich: „Es gab nur ein einziges Problem bei der Schlussapotheose Die liebe Erde überall… Ewig,,, Ewig,,, Er wollte es piano. Das steht auch in der Partitur. Ich sang es immer fortissimo. Man sang es immer laut, er wollte es leise. Mit Recht, aber piano fiel es nicht so auf und dann gab es schlechtere Kritiken. Ich habe mit allen möglichen Dirigenten gesungen und sonst immer gesagt, was ich haben will. Das tat ich auch bei ihm“.
Die Harmonie zwischen Kleiber und dem Tenor ist auch aus der Aufnahme herauszuhören, überhaupt gibt der oftmals unterschätzte Kmentt (*1929) hier eine bemerkenswerte Interpretation, leitet die Hysterie in Das Trinklied vom Jammer der Erde in vorsichtig dramatische Bahnen und ist ausgezeichnet in Von der Jugend. Ludwig (*1928), Ludwig beeindruckt durch die farbenreichen und weiten Bögen, die gute Atemkontrolle und den noblen Ernst ihres Gesangs. Kleibers Wiedergabe ist sehr genau, bei relativ raschen Tempi und einer Aufführungsdauer von unter einer Stunde, ähnlich wie Jochum und Boulez, nur Klemperer ist beispielsweise rascher, während Bernstein, Haitink, Levine, Sinopoli mehr Zeit benötigen.
Rolf Fath