.
Shakespeares The Tempest (Der Sturm) wurde häufig vertont. Eine der gelungensten musikalischen Adaptionen stammt vom finnischen Komponisten Jean Sibelius. Die komplette Bühnenmusik, opus 109, datiert auf die Jahre 1925/26 und stellt somit eines seiner Spätwerke dar, kurz vor seiner letzten Tondichtung Tapiola vollendet. Wiewohl diese Bühnenmusik, auf Finnisch Stormen, zuweilen zu seinen stärksten Kompositionen gerechnet wird, wurde sie zumindest komplett selten eingespielt. In ihrer vollen Form für Solisten, Chor und Orchester gesetzt, handelt es sich um ein einstündiges Werk. Erst zweimal wurden Gesamteinspielungen vorgelegt, so von Osmo Vänskä für BIS und von Jukka-Pekka Saraste für Ondine, beide auf 1992 datierend. Diskographisch sind die beiden abgespeckten, rein orchestralen Suiten Nr. 1 op. 109/2 und Nr. 2 op. 109/3 besser repräsentiert.
Naxos legt nun nach drei Jahrzehnten eine Neuaufnahme der vollständigen Bühnenmusik vor (8.574419). Verantwortlich zeichnet mit dem mittlerweile 76-jährigen Okko Kamu ein Veteran der finnischen Dirigentenschule. Ihm zur Seite stehen das Königlich Dänische Orchester (das sich bis 1448 zurückverfolgen lässt) und der Chor der Königlich Dänischen Oper. Kein Wunder, dass die Einspielung in Kopenhagen entstand (Live-Mitschnitt vom 10. Oktober 2021 aus dem Königlichen Opernhaus). Als Solisten agieren die Mezzosopranistinnen Hanne Fischer (Ariel) und Kari Dahl Nielsen (Juno), der Tenor Fredrik Bjellsäter (Stephano), der Bariton Palle Knudson (Caliban) sowie der Bassist Nicolai Elsberg (Tinculo), allesamt Solisten der genannten Königlich Dänischen Oper. Dies ist wiederum kein Zufall, fand doch bereits die Uraufführung des Auftragswerkes am 15. März 1926 in der dänischen Hauptstadt statt. Dies erklärt dann auch, wieso auf Dänisch gesungen wird (Übersetzung des Shakespeare-Textes durch Edvard Lembcke).
Kamu schlägt mit knapp 65 Minuten Gesamtspielzeit moderate Tempi an, langsamer als Saraste (57 Minuten), aber etwas flotter als Vänskä (67 Minuten), der sich insbesondere in der dramatischen Ouvertüre mehr Zeit lässt. Der ausgereifte Spätstil von Sibelius lässt zu keinem Augenblick Zweifel an der Güte des Werkes aufkommen. Kamu und sein dänisches Ensemble wissen dies kongenial umzusetzen. Trotz Live-Bedingungen sind Publikumsgeräusche nahezu nicht vorhanden. Die Gesangsleistungen sind sämtlich (Chor und Solisten) auf hohem Niveau und mit der notwendigen Idiomatik dargeboten. Klanglich übertrifft die Neueinspielung diejenige von Ondine und ist gar noch einen Hauch unmittelbarer als die bereits für sich genommen sehr gute von BIS.
Das Booklet fällt für Naxos-Verhältnisse erstaunlich ausführlich aus und liegt mitsamt des Gesangstextes auf Englisch und auf Dänisch abgedruckt vor. Insgesamt eine wichtige Ergänzung der überschaubaren Diskographie und womöglich die neue Referenz. Daniel Hauser