Genre-Torsi

 

Franz Liszt und Oper, Das ist eigentlich ein schnell abgehandeltes Kapitel. In allen anderen musikalischen Genres ist Liszt bedeutender hervorgetreten, besonders freilich bei Klavier- und Orchesterwerken. Bis dato galt das für Paris komponierte Jugendwerk Don Sanche, ou le Château de l’Amour von 1824/25 als einziger Beitrag Liszts in Sachen Oper (die alte Hungaroton-Aufnahme unter Tomas Pal ist längst vergriffen/ G. H.). Trotz der begeisterten Aufnahme an der Pariser Oper nahm der ungarische Komponist bald schon Abstand von weiteren Unterfangen in Sachen Musiktheater. Dass er zwei Jahrzehnte später gleichwohl an weiteren Opern arbeitete, ist selbst Liszt-Kennern oft gar nicht geläufig. Sardanapalo von 1846, basierend auf der Tragödie Sardanapalus (1821) von niemandem Geringeren als Lord Byron. Erhalten haben sich lediglich vier Szenen, aber immerhin gut 50 Minuten bisher unbekannter Musik. Doch stellt dies noch nicht einmal den einzigen Versuch einer Rückkehr zur Operngattung durch Franz Liszt dar: In den 1840er und 50er Jahren beschäftigte er sich tatsächlich mit mannigfaltigen Themen und hatte bereits 1841 eine Oper über Le Corsaire, ebenfalls von Byron, in Vorbereitung. Hervorzuheben sind diese Überlegungen gerade auch wegen der oft sehr prominenten Autoren, denen Liszt kompositorisch ein Denkmal setzen wollte: Mit Manfred ist noch ein dritter Byron-Stoff darunter, dazu noch Richard of Palestine von Walter Scott, Consuelo von George Sand, Jankó von Karl Beck, Spartacus von Oscar Wolff, Marguerite nach Goethes Faust, Semele von Schiller, Jeanne d’Arc von Friedrich Halm sowie Autrans Adaption von Dantes Divina commedia. Es wäre sicherlich von großem Interesse, hätte zumindest einer dieser Versuche zu einer vollständigen Oper geführt – gerade auch im direkten Vergleich mit Liszts späterem Schwiegersohn Richard Wagner.

„Sardanapale“ von Eugene Delacroix/ Wikipedia

So bleibt Sardanapalo (neben Don Sanche) die einzige Möglichkeit, hier Rückschlüsse zu ziehen. Im Zentrum der Handlung steht Assyrien im Altertum unter dem dekadenten und effeminierten letzten König Sardanapalo, der mit Aufständen und Rebellionen zu kämpfen hat. Der über seine Ufer tretende Euphrat besiegelt das Schicksal seines zuvor wehrhaften Palastes. Zuletzt wählt der König zusammen mit seiner Geliebten Mirra den dramatischen Tod in den Flammen. Liszt dachte in diesem Zusammenhang offenbar an ein besonders pompöses Finale, welches sogar Feuer im Publikum entfachen sollte. Die Byron’sche Thematik war bereits zuvor in der Kunst (Delacroix) und Musik (Berlioz) aufgegriffen worden; Liszts Vorhaben stellte sicherlich das ambitionierteste dar. Kurios, dass der Librettist namentlich unbekannt geblieben ist.

Eigentlich sollte Joachim Raff die Orchestrierung für den orchestral des damals noch wenig geübten Liszt besorgen, der lediglich eine hybride Partitur für Klavier und Stimmen vorlegte. Dazu sollte es indes niemals kommen, da die Arbeit an Sardanapalo 1852 endgültig eingestellt wurde. Die Orchesterfassung für die vorliegende Einspielung musste daher 2017 neu erarbeitet und teils auch ergänzt werden, was von dem britischen Musikwissenschaftler David Trippett besorgt wurde und sich soweit wie möglich an Liszts eigenen Komponierstil der 1850er Jahre orientiert. Erst dies ermöglichte die Welturaufführung 2018 in Weimar. Bereits jetzt legt Audite die zwischen 17. und 20. August entstandene Einspielung vor.

Man geht sicher nicht zu weit, wenn man diesem zweiten Opernversuch Liszts nicht dieselbe Güte der gleichzeitig entstandenen Musikdramen Wagners bescheinigt. Gewisse Anklänge an die Opernlandschaft um 1850 sind unverkennbar (gerade auch die französische Grand opéra). Dass es letztlich zum Abbruch der Komposition kam, wird man daher auch unter diesem Aspekt betrachten müssen, ist Liszts Genie hier doch allenfalls in Ansätzen spürbar. Vielleicht hätte er aber auch schlichtweg mehr Durchhaltevermögen beweisen müssen, denn als Orchesterkomponist und eigentlicher Schöpfer der Sinfonischen Dichtung sollte Liszt wahrlich nicht weiter unterschätzt werden.

„Mazeppa“, 1826 von Emile Jean Horace Vernet (1789-1863)/ Wikipedia

Dies belegt auch die auf der CD ebenfalls inkludierte Tondichtung Mazeppa, nach Les Préludes und neben Tasso wohl seine berühmteste und wohl auch gelungenste. Dieses Werk datiert ins Jahr 1851, fällt also in dieselbe Entstehungszeit wie Sardanapalo. Hat er mit dem Opernfragment ein zwar bemühtes, aber letztlich nicht besonders außergewöhnliches Stück geschaffen, so darf bei Mazeppa durchaus von einem Coup die Rede sein. In ihrer Dramatik und Zuspitzung zeigt diese Sinfonische Dichtung Liszt auf dem Gipfel seiner handwerklichen Fähigkeiten als Orchesterkompositeur. Die Hintergrundgeschichte mit dem gleichnamigen ukrainischen Kosakenführer ist zwar im deutschsprachigen Raum bei weitem nicht so bekannt wie in Ostmitteleuropa, doch lässt sich gerade Mazeppa eben durchaus auch als absolute Musik genießen.

Die eigentliche Umsetzung der beiden Werke durch die wie so häufig vorzügliche Staatskapelle Weimar lässt kaum Wünsche offen. Kirill Karabits versteht es, das Interesse sowohl für die unbekannte Oper als auch für die vergleichsweise häufig eingespielte Tondichtung zu wecken, auch wenn die allerbesten Interpretationen von Mazeppa nicht ganz erreicht werden (es sei neben den üblichen Verdächtigen auf eine exemplarische Rundfunkproduktion des WDR unter Hiroshi Wakasugi aus den 70er Jahren verwiesen). Sängerisch wissen im Opernfragment besonders die Herren zu überzeugen. Der Tenor Airam Hernández als Sardanapalo und der Bassbariton Aleksandr Pushniak als Beleso erwecken den Eindruck, als holten sie das Bestmögliche aus den nicht unbedingt dankbaren Partien heraus. Dagegen fällt die Sopranistin Joyce El-Khoury ab und scheint ihre Probleme mit der Partie zu haben, ohne allerdings zum Totalausfall zu werden. Dafür entschädigt wiederum der hervorragend disponierte Opernchor des Nationaltheaters Weimar. Die klangliche Qualität der Einspielungen ist superb.

Anders als auf der hier besprochenen Compact Disc wurde übrigens auch der sehr selten aufgeführte, sechs Minuten dauernde Liszt’sche Huldigungsmarsch auf den Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1858) von der Staatskapelle Weimar unter Karabits aufgenommen; dieser ist allerdings lediglich in Form eines Zusatztracks per Download beim Label selbst erhältlich, obwohl er leicht noch auf die gerade 67-minütige CD gepasst hätte. Eine insofern reichlich unverständliche Entscheidung (Franz Liszt: Sardanapalo; Mazeppa mit  Joyce El-Khoury, Mirra (Sopran), Airam Hernández, Sardanapalo (Tenor), Oleksandr Pushniak, Beleso (Bassbariton); Opernchor des Nationaltheaters Weimar; Staatskapelle Weimar/Kirill Karabits; Audite 97.764; Aufnahme: 2018/ veröffentlicht 2019). Daniel Hauser