Repertoire-Gewinn

 

Heiter bis stürmisch: Wieder bringt Naxos in der Reihe Ouvertüren (bereits in der 6. Folge) eine reizvolle Platte heraus, welche Kompositionen von Domenico Cimarosa versammelt (8.574046). Das Czech Chamber Philharmonic Orchestra Pardubice musiziert unter der inspirierenden Leitung des französischen Dirigenten Patrick Gallois mit ansteckender Vitalität und Frische. Als Auftakt erklingt die Ouverture zum bekanntesten Opernwerk des Komponisten, Il matrimonio segreto, uraufgeführt im Wiener Burgtheater 1792. Cimarosa war ein Zeitgenosse Mozarts und das ist in jedem Takt hörbar. Besonders zu den da-Ponte-Opern stellt sich ein Bezug her – das Musik sprüht, wirbelt und nimmt all die Turbulenzen der Handlung vorweg. Das nächste Stück, Gli Orazi e i Curiazi, ist weniger populär, erklingt aber sogar in zwei Versionen – der von 1797 (Venedig) und der von 1800 aus Paris. Das Werk trägt die Gattungsbezeichnung tragedia per musica, doch ist die Musik durchaus von gemessen heiterem Charakter und zuweilen sogar witzig mit Tönen, die an das Quaken von Fröschen erinnern.

Und auch auf die Vorgängerin in der Ouvertüren-Sammlung bei Naxos soll hingewiesen werden, Vol. widmete sich ebenfalls Cimarosa (8.573568)

Den Kreis der Opern sprengt Track 3 mit der Cantata per Ferdinando IV aus dem Jahre 1799 – eine Huldigung anlässlich des Niedergangs der Monarchie mit patriotischen Klängen. Auch die folgenden Einleitungen zu Artemisia, die 1801 am La Fenice eine Woche nach des Komponisten Tod zur Premiere kam und ernstere Töne anschlägt, Penelope, die1795 in Neapel uraufgeführt wurde, bald darauf in Livorno, Lissabon, London und St. Petersburg nachgespielt wurde, sowie L’imprudente fortunato (ein munteres dramma giocoso für die römische Karnevalsaison 1797) sind Raritäten. In einzelnen Stücken können sich Markéta Cepická an der Violine, Barbora Tomecková an der Oboe und der Hornist Jan Karas solistisch profilieren.

Es folgen weitere unbekannte Werke mit I traci amanti (1793), Achille all’assedio di Troia (1797), L’impegno superato (1795) und L’apparenza inganna (1784). Ersteres schrieb Cimarosa für das Teatro Nuovo Neapel. Es hatte sogleich immensen Erfolg und kam schnell in vielen europäischen Musikzentren zur Aufführung. Den Achille, ein dramma per musica, komponierte Cimarosa als Auftrag von Camillo Alliati, Impresario des Teatro Argentina Rom, dem er das Werk auch widmete. Es ist mit fast zehn Minuten die längste Ouvertüre der Anthologie und in ihrem ungestümen, drängenden Duktus sehr eindrucksvoll. Auch der Impegno mit seinem reizvollen Melos konnte sich nach der Premiere in Neapel schnell auf vielen Bühnen durchsetzen, ebenso die Apparenza, welche in einem Jahr entstand, in dem der Komponist besonders beschäftigt war und im Zeitraum von nur wenigen Monaten mehrere Opern zu liefern hatte.

Zum Ausklang gibt es mit Il maestro di capella (1780) noch einen Klassiker, hier in einer neuen Orchestrierung von Simone Perugini, welche die Kantate, ursprünglich für Bass und Cembalo gesetzt, im Stil des Komponisten der 1780er Jahre erklingen lässt. Bernd Hoppe

 

Max Bruch (1838-1920) ist unter den deutschen Komponisten des späteren 19. und frühen 20. Jahrhunderts heutzutage, anders als zu seinen Lebzeiten, ein eher Unbekannter, sieht man einmal von seinem ersten Violinkonzert und seiner Schottischen Phantasie ab. Dabei trug er zu nahezu jeder Werkgattung etwas bei, schrieb zahlreiche Orchesterwerke, Konzerte, viel Vokal-. Klavier- und Kammermusik, Oratorien und vier Opern. Musikproduktion Dabringhaus und Grimm (MDG) legt nun zwei bereits einzeln erschienene Produktionen von der Jahrtausendwende in einer Doppel-CD neu auf (MDG 335 2129-2).

Enthalten sind zum einen das dritte Violinkonzert mit dem Solisten Andreas Krecher sowie die zweite Sinfonie, beides mit den Sinfonieorchester Wuppertal, dirigiert von Gernot Schmalfuß; zum anderen die Schwedischen Tänze, die Streicherserenade sowie die Ballade Schön Ellen, wieder mit den Wuppertaler Sinfonikern, diesmal unter der Leitung von George Hanson.

Allzu viele Konkurenzeinspielungen gibt es bei keinem der vorliegenden Werke. Die drei Sinfonien wurden bis dato von Kurt Masur (Philips) und James Conlon (EMI) eingespielt; hinzu gesellen sich Chandos-Produktionen unter Richard Hickox (Nr. 1 & 3) sowie Naxos-Produktionen unter Michael Halász (Nr. 1 & 2) und Manfred Honeck (Nr. 3). Während das g-Moll-Violinkonzert mannigfaltig aufgenommen wurde, fristet die beiden in d-Moll ein Schattendasein. In der Sinfonik zwischen Schumann und Brahms stellt Bruch die Verbindung dar. Ausgezeichnet gelungen und mit einer Betonung der lyrischen Stellen präsentiert sich die hier enthaltene, nur dreisätzige zweite Sinfonie in f-Moll von 1870. Hochdramatisch der Kopfsatz, himmlisch das Adagio mit seinen Solostimmen, versöhnlich der Ausklang im sich nahtlos anschließenden Finale. Schmalfuß wählt ein breiteres Zeitmaß als Masur, nicht zum Nachteil der sich einstellenden Wirkung. Der Conlon-Aufnahme ist die vorliegende vor allem tontechnisch überlegen. Das dritte Violinkonzert von 1891 erfährt eine referenzträchtige Darbietung, woran gerade Andreas Krecher poetisches Spiel großen Anteil hat. Obwohl nicht zur vordersten Riege der Orchesterlandschaft gerechnet, fällt auch das Sinfonieorchester Wuppertal keinesfalls ab, sondern bietet die hörenswerte Musik mit Herzensblut dar. In den beiden, jeweils knapp vierzigminütigen Werken finden sich gewisse Anklänge an Beethoven und mehr noch an Brahms. Beide Stücken verdienten eine Aufnahme ins Konzertrepertoire.

In den auf der zweiten CD inkludierten Werken entfaltet sich ein nordischer Tonfall, der in den hier in der Orchesterfassung vorliegenden Schwedischen Tänzen (1892) bereits im Werktitel zum Ausdruck kommt. Auch in der Streicherserenade ist ein skandinavischer Touch unbestreitbar, was nicht wundernimmt, handelt es sich doch um eine Umarbeitung der bereits 1904 komponierten Serenade nach schwedischen Volksmelodien für Streichorchester, zusammengekürzt auf 15 Minuten. Der suitenhafte Charakter ist beiden Stücken gemein, ein Vergleich mit Griegs Aus Holbergs Zeit tut sich auf. Schön Ellen schließlich, eine heroische Ballade auf eine Vorlage von Emanuel Geibel, ist ein ein knapp zwölfminütiges Chorwerk für zwei Solisten, Chor und Orchester. Sowohl die Sopranistin Claudia Braun als auch der Bariton Thomas Laske erweisen sich als absolut adäquate Besetzung und punkten mit Wortdeutlichkeit; die Kantorei Barmen-Gemarke unter Chorleiter Wolfgang Kläsener verdient ein besonderes Lob. Obwohl in Indien angesiedelt, ist ein Bezug zur schottischen Volksmusik ersichtlich, ein Land, mit dem Bruch eine lebenslange Affinität verband. Das heutzutage praktisch vergessene, seinerzeit aber höchst populäre Chorwerk endet triumphal und rundet die Doppel-CD wunderbar ab. Die natürliche und räumliche Klangqualität all dieser in Wuppertal entstandenen Einspielungen ist ohne Fehl und Tadel. Daniel Hauser

 

Der österreichische Komponist Karl Goldmark ist heute wahrscheinlich nur noch Kennern bekannt, obwohl sich einige seiner Werke immer im Repertoire gehalten haben (so sein Violinkonzert und die Königin von Saba, kürzlich in Budapest und Freiburg, wobei von letzterer nun die Mitschnitt bei cpo erscheinen wird). Jetzt ist bei der Firma cpo sein bekanntestes Instrumental-Werk erschienen, seine Sinfonie Ländliche Hochzeit. Letztere ist zwar als Sinfonie etikettiert, aber eigentlich handelt es sich um eine Suite aus fünf Sätzen, die lose zusammenhängen, mit sinnigen Titeln wie Serenade, Im Garten oder Brautlied. Der phantasievolle Opernkomponist Goldmark kann seine musikdramatischen Prinzipien hervorragend auf seine Sinfonik übertragen. Zu Recht berühmt war er deswegen für seine einsätzigen sinfonischen Dichtungen (hier als Bonus auf der

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Goldmark irritiert sein Publikum mit witzigen Einfällen und unterläuft immer wieder das, was die Musik zu sein vorgibt. Beispiel: Sein erster Satz heißt „Hochzeitsmarsch“, ist aber eigentlich eine viertelstündige Variation auf ein Marschthema, wobei sein endloser Marsch schon bei zeitgenössischen Kritikern die Frage aufwarf, wohin denn da die Eheleute so lange marschieren. Es kommt noch besser – es gibt Variationen, in denen der Hochzeitsmarsch sich in einen Trauermarsch verwandelt. Das dürfte Satirikern wie Karl Kraus gefallen haben, der übrigens Goldmark sehr liebte. Insgesamt ist dies ohnehin ein Täuschungsmanöver, denn nichts an dieser Hochzeit ist ländlich, es ist so, als wenn reiches städtisches Brautpaar sagt: Lass uns doch originellerweise ein bisschen rustikal feiern! Das Ganze bleibt trotz mancher pastoraler Attitüde ein ironisch-wehmütiges Stadt-Spektakel.

Ein unorthodoxer Dirigent: Eigentlich hat man es als Interpret bei zwei Dritteln der Musik von Goldmark recht leicht, denn das meiste davon ist gar nicht oder selten eingespielt worden. Das gilt aber nicht für die Ländliche Hochzeit, von der es eine ganze Menge Aufnahmen gibt. Und es spricht für Frank Beermann und die Chemnitzer Schumann-Philharmonie, dass beide sich hier überhaupt nicht verstecken müssen. Beermann ist überhaupt einer der ganz spannenden deutschen Dirigenten der Gegenwart, die immer auf der Suche sind nach interessanten Alternativen zum ausgeleierten Konzert- und Opernrepertoire. Auf der Suche sind viele, aber gefunden hat vor allem Beermann die großen wirklich lohnenden Kracher, wie unbekannte Opern von Otto Nicolai oder seinen preisgekrönten Vasca da Gama von Meyerbeer. Die Leistung in dieser Aufnahme besteht darin, dass er Goldmark weder bieder noch avantgardistisch klingen lässt, sondern erfreulich unprätentiös und doch konfliktreich – wir hören einen klugen, einfallsreicher Komponisten mit einer geradezu romanhaften Neigung zum Abschweifen in einer erfreulich schlanken, ambitionierten und sehr respektvollen Aufnahme.

PS: Tolles Booklet: Das wäre ein schöner Schlusssatz, doch gerechtigkeitshalber sei ausnahmsweise etwas ungelenk, aber voller Bewunderung für den Kollegen als Postscriptum angefügt, dass der 10seitige Goldmark-Bookletessay von Eckhard van den Hoogen ein absolutes Highlight in Sachen CD-Einführungstext darstellt. Endlich mal ein neuer Akzent – keine gravitätisch-verschwurbelten Erklärungen von Eingeweihten an Eingeweihte, sondern feuilletonistische Lust am Erzählen. Verständlich für alle, die neugierig sind. So soll es sein (cpo 777484-2). Matthias Käther

 

Beethovens vollständige Schauspielmusik zu Goethes Drama Egmont wurde nicht allzu häufig komplett eingespielt. Zu diesen Aufnahmen gesellt sich seit kurzem eine weite, die nun Ondine mit dem Helsinki Baroque Orchestra unter Aapo Häkkinen vorlegt (ODE 1131-2). Das nicht übermäßig berühmte Ensemble wird verstärkt durch die Sopranistin Elisabeth Breuer und den Erzähler Robert Hunger-Bühler. Enthalten sind alle zehn von Beethoven komponierten Musiknummern; die Gesamtspielzeit beträgt gut 52 Minuten. Was diese Neuproduktion nun von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass auf historischen Instrumenten gespielt wird. Im Zuge der Originalklangbewegung war es nur eine Frage der Zeit, bis die historisch informierte Aufführungspraxis auch den Egmont erreicht. Ein völliges Novum legt Ondine indes mitnichten vor, hat Alpha doch bereits 2016 eine Originalklangeinspielung mit dem Orchester Wiener Akademie unter Martin Haselböck herausgebracht (noch dazu jeweils in deutscher und englischer Sprachfassung, in letzterer gar mit John Malkovich als Sprecher). Rein orchestral ist Häkkinens Interpretation über weite Strecken eher gediegen als wirklich mitreißend – die Konkurrenz gerade in der häufig auch im Konzert gespielten Ouvertüre ist allerdings auch erdrückend (man denke unter anderem an Furtwängler, Klemperer oder auch Prêtre). Das Helsinkier Barockorchester ist weit entfernt vom kratzbürstigen Image früher HIP-Aufnahmen, aber erreicht auch nicht völlig die Perfektion bekannterer Orchester. Dies mag auch der Live-Situation (inklusive einiger Publikumsgeräusche) geschuldet sein, entstand die Einspielung doch als Mitschnitt mehrerer Konzerte zwischen 31. Dezember 2018 und 2. Jänner 2019 in der Musiikkitalo in Helsinki. Deren brillante Akustik überzeugt allerdings durchgehend. Breuers Sopran weiß durch Ausdruck und Wortdeutlichkeit zu punkten, doch erreicht sie nicht ganz die Klasse einer Gundula Janowitz (unter Herbert von Karajan, DG) oder einer Pilar Lorengar (unter George Szell, Decca). Sehr gut Hunger-Bühler als Rezitator, selbst wenn er im Finale nicht an die überbordende Expressivität eines Klausjürgen Wussow (unter Szell) herankommt. Als Geheimtipp sei auf eine (leider vergriffene) DDR-Rundfunkproduktion aus Leipzig von 1960 unter Hermann Scherchen verwiesen, in der Rosemarie Rönisch den Sopranpart und der Schauspieler Karl Paryla den Sprechpart übernimmt (Tahra). Das Beiheft ist erfreulich ausführlich und enthält den kompletten Text auf Deutsch und in englischer Übersetzung von Jenifer Ball. Insgesamt handelt es sich bei der Neuproduktion aus Finnland um eine sehr beachtliche Einspielung, die indes keine neuen Maßstäbe setzen kann und wohl auch in Zukunft eher unter ferner laufen wird. Daniel Hauser