Keusch und innig

 

Ihrem neuen Star Sabine Devieilhe öffnet ERATO regelmäßig die Aufnahmestudios. Jüngstes Zeugnis ist die CD Bach – Handel, welche im Dezember 2020 im Temple du St-Esprit von Paris entstand (0190296677861). Die Sängerin wird begleitet vom Ensemble Pygmalion unter Leitung von Raphaël Pichon. Das Programm umfasst weltliche und geistliche Werke von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Es beginnt mit dem Gesang „Mein Jesu! was für Seelenweh“ von Bach, dem die Sinfonia aus der Kantate „Wir müssen durch viel Trübsal“ folgt. Die Sopranistin singt mit klarer, reiner Stimme von keuschem Klang und innigem Ausdruck. In der Sinfonia hat der Organist Matthieu Boutineau ein virtuoses Solo, das Orchester imponiert mit forschem Zugriff. Danach erklingt das erste Hauptwerk der Anthologie, die Kantate „Mein Herze schwimmt in Blut“ BWV 199. Sie ist achtteilig, besteht aus vier Rezitativen, drei Arien und einem Choral. Das erste Rezitativ gab der Komposition den Titel, Devieilhe gestaltet es voller Inbrunst, wie auch die folgende Arie „Stumme Seufzer“. Von Reue erfüllt ist „Tief gebückt“, die abschließende Arie „Wie freudig ist mein Herz“ von jubilierenden Koloraturen.

Die Beiträge von Händel stammen aus Oratorien des Komponisten und seiner Oper Giulio Cesare in Egitto. Letztere wurden sicherlich  ausgewählt, um die Virtuosität der Interpretin auszustellen. Zu hören sind „Se pietà di me“ aus dem 2. und „Piangerò“ aus dem 3. Akt. Ist Devieilhes Stimme in ihrer Keuschheit für die sakralen Werke geradezu ideal, kann sie auch in diesen beiden Soli mit deren lamento-Duktus überzeugen. Im Mittelteil der zweiten Arie („Ma poi morta“) ist zudem ihre Koloraturbravour gefragt und sie erfüllt diesen Anspruch meisterlich. Aus der Brockes Passion erklingen das Duett Maria/Jesus „Ja, ich sterbe dir zu gut“, wo der renommierte Bariton Stéphane Degout Partner der Sopranistin ist und sich mit empfindsamem Gesang bemerkenswert einbringt, sowie die Arie der Gläubigen Seele„Hier erstarrt mein Herz“.Die Solistin kann hier mit dramatischem Gestaltungswillen aufwarten. Schließlich gibt es noch einen Ausschnitt aus Händels Oratorium Il trionfo del Tempo e del Disinganno – die Arie der Bellezza „Tu del Ciel“, in der die Sopranistin mit überirdischem Gesang betört. Mit Bachs berühmter Kantate „Jauchzet Gott in allen Landen“ BWV 51 endet das Programm. Hier kann die Sängerin nochmals mit ihrem virtuosen Vermögen punkten, das vor allem im ersten und letzten Teil gefragt ist. Der Trompeter Hannes Rux liefert sich mit der Solistin einen virtuosen Wettstreit, der im finalen „Alleluja!“ zu zweistimmigem  Jubel führt.

Fehlerhaft ins Deutsche übersetzt ist Devieilhes Statement im Booklet, dass „ in der Kantate BWV 199 Figuren von Cleopatra bis hin zum Sünder tränenreich nach ihrem inneren Frieden streben“. Natürlich existiert in Bachs Komposition keine Cleopatra. Die Aussage der Sängerin war, dass „von der Cleopatra bis zur Figur des Sünders in der Kantate BWV 199 Tränen fließen und die Seele ewigen Frieden sucht“. Bernd Hoppe