Joseph Haydns einziges Oratorium in italienischer Sprache – Il ritorno di Tobia – steht noch immer im Schatten seiner beiden deutschsprachigen Werke dieser Gattung Die Schöpfung und Die vier Jahreszeiten. Mit seinem Mozarteumorchester Salzburg will Ivor Bolton diesen Zustand revidieren und das 1775 in Wien uraufgeführte Oratorium in der Publikumsgunst voranbringen.
Tobia war ein Auftragswerk der Wiener Tonkünstler-Societät. Das Libretto stammt von Giovanni Gastone Boccherini, dem Bruder des berühmten Komponisten Luigi. Er benutzte eine italienische Version des biblischen Textes um Tobias, verkürzte die Handlung und stellte die Rückkehr des Tobias aus der Fremde sowie die Heilung seines erblindeten Vaters Tobit ins Zentrum des Geschehens. Neben Vater und Sohn treten noch Tobias’ Mutter Anna, seine Braut Sara und der Erzengel Raffaelle auf. Der Chor kam in der Urfassung nur zu Beginn und am Ende der beiden Teile zum Einsatz. Für eine Wiederaufführung des Stückes 1784 im Wiener Burgtheater komponierte Haydn zwei festliche Choräle neu („Ah gran Dio“ und „Svanisce in un momento“), die in der Mitte der beiden Akte platziert sind. Diese Zweitfassung ist heute nahezu vergessen, gespielt wird vorwiegend die erste Version, allerdings ergänzt um die beiden Chöre. Darauf fußt auch die vorliegende Einspielung bei SONY, die im April 2016 im Großen Saal des Salzburger Mozarteums entstand (19075981082, 3 CD).
In der Titelrolle ist der Tenor Mauro Peter zu hören, bekannt als Salzburger Tamino und durch seine zahlreichen Liederabende. Sein Auftritt „Quando mi dona un cenno“ ist ein anmutiges Stück, welches die Verehrung seiner Braut in lieblichen Koloraturen ausmalt. Der Sänger nimmt mit weichen, kultivierten Tönen für sich ein. „Quel felice nocchier“ im 2, Teil ist bewegter und fordernder in der Tessitura sowie den dynamischen Kontrasten.
Anna Bonitatibus, eigentlich ein Mezzo, nimmt die Sopranpartie der Sara wahr. Sie antwortet auf Tobias Liebesbekenntnis mit der Arie „Del caro sposo“ und kann ihre reizvoll timbrierte Stimme wirkungsvoll einbringen, sich auch im Zierwerk als souverän erweisen. Die Eltern des Tobias interpretieren die Altistin Bettina Ranch als Mutter und der Bassist Neal Davies als Vater. Ihnen fallen die ersten Soli des Werkes zu – Annas „Sudò il guerriero“ mit beherztem Zugriff und dunkel glühendem Klang sowie Tobits „Ah tu m’ascolta“ mit warmen und resoluten Tönen. Wie alle Partien des Oratoriums sind sie mit höchst virtuosen Koloraturen und Verzierungen ausgestattet, hatte der Komponist für die Uraufführung doch Interpreten seines Eisenstädter Ensembles zur Verfügung, denen er die Musik auf die geläufigen Gurgeln schrieb. Anna hat später noch die würdevolle Arie „Ah gran Dio“ zu singen, in welcher sich die Schönheit der Altstimme besonders entfaltet. Dagegen kann sie in der pulsierenden Arie „Come in sogno“ im 2. Teil ihr dramatisches Potential einbringen. Tobit berührt mit der Arie „Invan lo chiedi“, als er erstmals wieder seine Augen öffnet. Lucy Crowe komplettiert die Besetzung als Raffaelle und führt sich mit der Arie „Anna, m’ascolta!“ vorteilhaft ein. Die Stimme ist lieblich, klar und hell, flexibel und brillant in den ausgedehnten Koloraturläufen. Träumerisch und zart schwebt der Sopran in „Non parmi esser fra gl’uomini“ im 2. Teil.
Der Bachchor Salzburg (Einstudierung: Alois Glassner) hat hohen Anteil an der hochrangigen Aufnahme. Der machtvolle Chorsatz „Ah gran Dio!“ findet zu erhabener Wirkung und „Svanisce“ fasziniert in seinem furiosen Duktus und der tobenden Gewalt. Ivor Bolton ist der Spiritus rector des Unternehmens. Schon in der einleitenden Sinfonia setzt er spannende Akzente und findet bis zum Ende ein reiches Spektrum von Farben und Affekten. Majestätische Erhabenheit verleiht er dem finalen Ensemble „Io non oso alzar“. Seine Einspielung kommt einer Wiederentdeckung des Werkes gleich und ist daher nicht hoch genug zu werten. Bernd Hoppe