Gut gemeint, aber …

 

Im Laufe seiner fast 60 Jahre währenden Karriere hat sich Giacomo Meyerbeer nicht nur der Oper gewidmet. Von ihm stammt auch ein Korpus von im Allgemeinen als religiös zu bezeichnenden Kompositionen, die zum Teil bis vor kurzem unbekannt waren und die nun auf Initiative des Dirigenten und Musikwissenschaftlers Dario Salvi eingespielt wurden. Darunter befindet sich eine Anzahl von Psalmen, die der 16jährige Meyerbeer vertonte, noch bevor er mit Carl Maria von Weber ab 1810 in Darmstadt bei Abbé Vogler studierte. Es ist anrührend, diese schlichten Gesänge zu hören, für die Meyerbeer die deutsche Übersetzung von Moses Mendelssohn verwendete. Mit der Kantate „Gott und die Natur“ („Lyrische Rhapsodie“ benannt) aus dem Jahre 1811 und dem Singspiel „Jephas Gelübde“, das 1812 in München uraufgeführt wurde, näherte sich Meyerbeer der Opernbühne und zeigte seine Kompetenz im klassischen Stil moderner Prägung, die sich in der virtuos gehaltenen Stimmführung offenbart.

Die auf der CD versammelten späteren Werke wie ein Gloria und Halleluja von 1841, ein „Cantique tiré de l’Imitation du Christ“ aus 1859 (hier mit einem von Salvi wiederentdeckten Präldium von 1863 versehen, einem Jahr vor dem Tod des Komponisten) und ein „Pater noster“ tragen eher den Charakter von Gelegenheitskompositionen. Das soll aber nicht täuschen, genauso wenig wie die Tatsache, dass der Jude Meyerbeer christliche Texte in Musik setzte. Er war ein tief religiöser, doch überaus toleranter Mensch, und die hohe Qualität etwa des Cantique, das auf eine ursprünglich auf Latein verfasste Meditationsanleitung des frühen 15. Jahrhunderts zurückgeht, zeigt, dass das Vertonen solcher Texte vielleicht keine Herzangelegenheit, aber doch eine Aufgabe war, die Meyerbeer mit Ernst anging. Diese CD erlaubt somit, eine nicht unbedeutende, aber bis jetzt wenig beachtete Seite von Meyerbeers Schaffen kennenzulernen.

Dass sich die Begeisterung für das Unternehmen indes in Grenzen liegt, hängt an den Versionen und der musikalischen Wiedergabe. Salvi hat sich dafür entschieden, die Stücke für eine Kammerbesetzung zu bearbeiten (aus Kostengründen?), indem er etwa das Orchester, das für „Gott und die Natur“, „Jephtas Gelübde“ und die Psalmen vorgesehen war, durch Streicher und Klavier ersetzt. Der Hinweis im Booklet, man folge der Praxis der Zeit, in der „Chopin, Rossini, Liszt und viele mehr (…) Klavier-Arrangements, Transkriptionen, Potpourris oder Variationen über Lieder und Themen aus Opern Meyerbeers“ schreiben, führt in die Irre. Es geht hier nicht um eine wie auch immer geartete Auseinandersetzung mit Meyerbeers Themen, sondern lediglich darum, das volle Orchester zu ersetzen. Das Ergebnis ist schwerfällig und stilistisch anachronistisch. Dass die Psalmen von der Großbesetzung mit Chor und Orchester auf eine Solo-Stimme mit Begleitung verkleinert werden, erlaubt keine Einsicht in die Kompositionsweise des jungen Meyerbeer. Angesichts des interessanten Programmes würden man sich wünschen, Positives über die Solistin berichten zu können. Andrea Chundak nennt einen engagierten Sopran ihr eigen, der allerdings nicht selten fahl und nicht nur in der Höhe gefährdet klingt. Insgesamt enttäuscht also diese gut gemeinte Produktion. Der fromme Meyerbeer wartet nach wie vor auf seine Wiederentdeckung.

Wer kann, möge auf die Gesamtaufnahme von „Gott und die Natur“ zurückgreifen, die 1996 in Bologna entstand und seitdem zu den Juwelen der Bootlegs-Sammler gehört; die anderen müssen hoffen, dass Naxos oder eine andere mutige Firma sich endlich der großbesetzten Werke annimmt (Giacomo Meyerbeer, Sacred Works. Ausschnitte aus Gott und die Natur, Jephtas Gelübde, Psalmen und Gesänge, Andrea Chudak (Sopran), Jakub Sawicki (Orgel und Klavier), Neue Preussische Philharmonie, Dario Salvi, CD Naxos 8.573907). Michele C. Ferrari