Bonifazio Graziani (1604/05 – 1664) war von 1646 bis zu seinem Tod am „Seminario Romano“ und der dazugehörigen Kirche „Il Gesù“, der Mutterkirche der Jesuiten, als Kapellmeister tätig. Wie in der Renaissance und auch noch im folgenden Frühbarock vielfach üblich, hatte er zugleich ein geistliches Amt inne. Von ihm sind ausschließlich Vokalwerke überliefert, die in der Regel von einem oder mehreren Gesangssolisten mit Begleitung verschiedener Instrumente in der lateinischen Messe erklangen. Bei Naxos (8.573256) ist eine Auswahl von fünf Motetten sowie den beiden kürzeren Oratorien „Adae Oratorium“ und „Fill Prodigi Oratoriumi“ erschienen. Das 1996 gegründete US-amerikanische Consortium Carissimi, das sich zur Aufgabe gesetzt hat, dem Publikum die italienische Musik des 16. und 17. Jahrhunderts nahe zu bringen, musiziert unter der Leitung von Garrick Comeaux durchsichtig und vor allem mit bestechender Intonationsreinheit. Das gilt durchweg für die fünf Sängerinnen und vier Sänger sowie für die sechs Instrumentalisten dieser instruktiven Aufnahme, so dass es sich verbietet, einzelne hervorzuheben.
Rund hundert Jahre später ist die strenge Madrigalkunst den leichteren, manchmal geradezu verspielt wirkenden Stücken eines Nicola Antonio Porpora (1696 – 1768) gewichen, die dieser für den Mädchenchor des Waisenhauses „Ospedale dei Poveri Derelitti“ in Venedig komponiert hat. Eigentlich liegt die Bedeutung Porporas, Händels starker Konkurrent in London, mit seinen 53 Opern mehr im Bereich der italienischen opera seria. Aber er hat sich eben auch der kleineren Form geistlicher Musik zugewandt, der sich der venezianische Coro Femminile Harmònia (Einstudierung: Nicola Ardolino) gemeinsam mit dem Barockensemble I Musicali Affetti unter dem Dirigenten Michele Peguri angenommen hat (Brilliant Classics 95159). Die im Frühjahr 2014 eingespielte CD gibt schöne Beispiele der ausgefeilten Kompositionskunst Porporas, der zu Lebzeiten als bedeutender Kenner der menschlichen Stimme galt und deshalb in ganz Europa als Gesangslehrer gefragt war. Der ausgewogene Klang des mit 13 Sängerinnen kleinen Frauenchors passt ebenso wie der klare, äußerst schlanke Sopran von Paola Crema gut dazu.
Seit langem setzt sich Franz Hauk, Organist und Chorleiter in Ingolstadt, für die Musik des dort geborenen und seit 1802 in Bergamo wirkenden Simon Mayr (1763-1845) ein. 2013 hat er mit dem von ihm gegründeten Simon-Mayr-Chor und -Ensemble in der Ingolstädter Asamkirche Maria de Victoria Mayrs Requiem aufgenommen; die Einspielung ist bei Naxos (8.573419-20, 2 CD) erschienen. Im mit knapp zwei Stunden Dauer recht umfangreichen „Requiem summum“, dessen Kompositionsgeschichte im Dunkeln liegt (so Franz Hauk in einem sehr instruktiven Artikel im Beiheft), wird die ganz eigene Musiksprache Mayrs anschaulich deutlich. In ihm verschmelzen „vermeintliche Anleihen oder Zitate“ (bei Haydn und seinem Schüler Donizetti) „jeweils kongenial“, indem Mayr „vermittelt zwischen differenzierter ‚deutscher‘ Instrumentierung und italienischer, aus der Oper geborgter Kantabilität, zwischen fugiertem Kirchenstil und ‚romantischen‘ Ausbrüchen“ (wieder Franz Hauk im Beiheft). Auffällig an der gelungenen Aufnahme sind die Klangausgewogenheit des Chors und das durchsichtige Musizieren des Orchesters. Von den neun durchweg jungen, gut anzuhörenden Solisten( z.B. das koloratur- und verzierungsfreudige „Christe eleison“) gefallen besonders die norwegische Konzertsängerin Siri Karoline Thornhill mit blitzsauberem, in allen Lagen abgerundetem Sopran („Ingemisco“), die jeweils klarstimmigen Tenöre Markus Schäfer und Robert Sellier sowie der in „Tuba mirum“ machtvoll auftrumpfende und in „Oro supplex“ weich strömende Bariton von Martin Berner (begleitet von ausgezeichnetem Horn-Solo!).
Wohl auch deshalb, weil man kein kostspieliges Orchester braucht, wird Rossinis Petite Messe Solennelle von kleineren Chören gern aufgenommen – und das inzwischen in kaum übersehbarer Zahl. Die New Chamber Singers unter Andrea Cappelleri konnten daran auch nicht vorbeigehen und haben das schöne Alterswerk im April 2013 in der Kirche der Bruderschaft San Vitale in Assisi eingespielt, veröffentlicht bei Brilliant Classics (94459). Der in Rom ansässige Chor, entwickelt recht fülligen Chorklang, was aber auch der halligen Akustik des Aufnahmeorts geschuldet sein dürfte. Als klanglich nicht immer ausgeglichenes Solisten-Quartett gestalten Sandra Pastrana (mit leuchtendem Sopran), Gabriella Sborgi (mit klangprächtigem Mezzo – „Agnus Dei“!), Davide Giusti (mit lyrisch geführtem Tenor) und Carlo Lepore (mit unpassend röhrendem Bass) die Messe solide, alle sicher begleitet von Filippo Farinelli, Sabina Belei (Klaviere) und Riccardo Bonci (Harmonium).
Und dann gibt es da noch etwas Besonderes, und zwar geistliche Musik aus Brasilien: Unter dem Titel Brazilian Adventures hat hyperion (CDA68114) geistliche Werke aus dem kolonialen Brasilien veröffentlicht. Im Zentrum stehen die Weihnachtsmesse von José Maurício Nunes Garcia (1767-1830) und die Missa a 8 vozes e instrumentos von André da Silva Gomes (1752-1844). Außerdem sind zwischen die einzelnen Teile der beiden Messen „eingestreut“ acht Chor-Miniaturen mit südamerikanisch anmutenden Rhythmen (Anonymous: „Matais de incéndios“) sowie kurze Werke von José Joaquim Emerico Lobo de Mesquita (1746-1805), Theodoro Cyro de Souza (1761-?) und Luís Álvares Pinto (1719-1789). Durch die Flucht des portugiesischen Hofs vor Napoleon und Verlegung der Hauptstadt nach Rio de Janeiro Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt der mulattische Priester Nunes Garcia Kontakt zur europäischen Musik. Der Autodidakt schuf eine ganze Reihe geistlicher Werke auch größeren Umfangs, wie z.B. das Requiem für die portugiesische Königin Maria I. Silva Gomes. Er kam im Gefolge des Bischofs Dom Manuel da Conceicao 1774 nach Brasilien, wo er bis zu seinem Tod als Kapellmeister an der Kathedrale von Sao Paulo wirkte. Jeffrey Skidmore, Gründer und musikalischer Leiter des englischen Ensembles Ex Cathedra, sieht die CD als Hommage an die brasilianischen Musiker und Musikwissenschaftler an, die er bei seinen Konzertreisen in Brasilien kennenlernen durfte und die ihn mit ihrem Enthusiasmus für ihr musikalisches Erbe angesteckt haben. Das zwölfköpfige, auch in den Soli ausgesprochen schlankstimmige Ensemble musiziert die hierzulande unbekannten Werke gemeinsam mit den ausgezeichneten Instrumentalisten in beeindruckender Klarheit und Transparenz, eine wirklich hörenswerte Einspielung. Gerhard Eckels