Nach einer nicht all zu umfangreichen und unaufgeregten Sinfonia führt Simon Mayrs Jakob–Oratorium mitten in die Episoden um Abrahams Nachkommen, wie sie im Buch Genesis ab Kapitel 25 aufgeführt sind: Jakob hatte seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht betrogen und war zu seinem Onkel Laban geflohen. Dort diente er sieben Jahre um Labans Tochter Rahel, wurde aber von Laban getäuscht und erhielt die ältere Lea, worauf er nochmals sieben Jahre um Rahel diente. Er beschließt, in die Heimat zurückzukehren, überlistet bei der Teilung der Vierherde den Onkel, worauf er des Betrugs beschuldigt wird und mit beiden Frauen flieht. Laban eilt den Flüchtenden nach und stellt sie nach sieben Tagen. Viel Konfliktpotenzial. In seinem ersten Oratorium Jacob a Labano fugiens goss Mayr, der ab 1789 in Bergamo und Venedig studiert hatte, das Geschehen in wohlgefällige Formen, die nur selten etwas vom biblischen Furor ahnen lassen: jeder der vier Protagonisten, Jacob, Laban und die beiden Töchter Leah und Rahel, erhalten zwei Arien, der in der Bibel unerwähnte Hirte nur eine; inklusive Ouvertüre und vier Terzetten, wobei der Begriff für den abschließenden Rundgesang etwas hoch gegriffen ist, dauert das zweiteilige Werk 80 Minuten. Doch lassen wir uns nicht von der schmeichelnden Sanftmut Mayrs täuschen: Gleich Labans erste Arie „Nil a vindicata extrema“ zeigt ein heftiges Seelengemälde wie eine barocke Rachearie, wodurch sich die Norwegerin Siri Karoline Thornhill mit ihrem festen, höhensicheren Sopran vorteilhaft von dem mit vier Sopranen und einem Mezzosopran für Jacob etwas gleichförmig besetzten Ensemble abheben kann. Julie Comparini finde ich für den Jacob etwas uninteressant – sowohl im dreisätzigen „Vade, a me fuge infida“ wie in der Abschiedsklage „Date mihi extremum vale“. Andrea Lauren Brown und Gunhild Lang-Alsvik erhalten ebenfalls Gelegenheit sich als Labans Töchter zu entfalten, vor allem Lang-Alsvik im Bläser begleiteten Rondo der Rahel. Die Begegnung mit Jakob auf der Flucht vor Laban verdanken wir Franz Hauk, der sich mit seinem Simon Mayr Chor und Ensemble vielfach für den oberbayerischen Komponisten einsetzte und sich im September 2011 auch dessen italienischen Erstversuch, der wie damals üblich, auf dem Gebiet der geistlichen Musik stattfand, nicht entgehen lassen wollte (Naxos 8.573237). Mayr erinnert sich an Mozart, klingt wie der ganz frühe Rossini, die Arien ergeben sich aus Klang gewordenen rezitativischen Gesten, beziehen gelegentlich den Chor mit ein, der Einsatz der Soloinstrumente, gesteigert durch gute Kombinationen, ist durchdacht, und obwohl stark kontrastierende Arien auf einander folgen, bleibt der Fluss der Handlung gleichförmig, findet alles im Rahmen des Bekannten und Gewohnten statt. Rolf Fath
Eine wahrhaft deliziöse Aufnahme ist die von Rossinis Petite Messe Solenelle in der Fassung für Orchester mit dem Orchestre de Chambre de Paris, aufgenommen im Juni 2014 in der Basilika Saint-Denis. Dirigent Ottavio Dantone hält das kleine, aber feine Orchester zu kontrastreichem Spiel an, einem demütig klingenden „Kyrie“ und gleich danach einem dramatisch zupackenden „Gloria“, einem „Gratias“ voller Elan und einem Orgel-Vorspiel (Christophe Henry) mit beinahe opernhaften Zügen in seinem Sichsteigern. Generell werden zügige Tempi bevorzugt, gibt es aber auch ein schönes Verklingen vom „Qui tollis“. Leichtzüngig äußert sich der Chor Accentus im Cum sancto spiritu, ein ausgesprochen fröhlich klingendes Glaubensbekenntnis mit kraftvoll bestätigendem Amen gelingt ihm ebenfalls. Vorzüglich sind die Solisten. Der schlanke, reine Sopran von Julia Lezhneva ist leicht dunkel getönt, sehr eindringlich im „Miserere nobis“, eine schöne, bewegte Klage gelingt ihr im „Cruzifixus“, ausdrucksvoll weiß sie im Salutaris zwischen Angst- und Jubelton zu wechseln. Delphine Galou singt die Altpartie mit schönem, einheitlichem Stimmfluss, harmoniert perfekt mit der Sopranstimme und hat für das abschließende Agnus Dei das eindringliche Bitten in der Stimme. Michael Spyres scheint in dieser Aufnahme eine viel hellere Stimme zu haben als auf seiner CD mit französischen Arien. Der Tenor klingt herb, schneidig, schlank und ist höhensicher, wie man es von ihm kennt. Viel dunkler und voluminöser, als aus seinem Engagement an der Berliner Staatsoper erinnerlich, ist der Bass von Alexander Vinogradov, dabei ist er geschmeidig geblieben wie eh und je, sein Beitrag zu dieser Aufnahme ein beachtlicher (Naive V5409). Ingrid Wanja