Geistliches Polnisch

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Bei MDG ist unter dem Titel Requiem Aeternam eine interessante CD mit viel zu selten gespielten geistlichen Werken von Stanislaw Moniuszko herausgekommen: Kernstück der Aufnahme sind drei der vier Litaneien von Ostra Brama, die mit vier einzelnen kürzeren Stücken von Gesangssolisten, Sängern und Sängerinnen des Gellert Ensembles sowie dem Goldberg Baroque Ensemble unter der kompetenten Leitnung von Andrzej Szadejko erfrischend munter vorgetragen werden. Obwohl Moniuszkos kompositorischer Schwerpunkt die Oper war, beschäftigte er sich als gläubiger Mensch ebenfalls mit geistlicher Musik und begann um 1860 herum mit der Veröffentlichung eines Kirchen-Gesangbuches. Die Litaneien von Ostra Brama entstanden in den Jahren 1843 – 1855, als er noch in Vilnius lebte, bevor er 1858 mit seiner großen Familie nach Warschau übersiedelte. Für die inständigen Bitten und Gebete entwickelte er einen großen Melodienreichtum, der durch den häufigen Wechsel von intensiv ruhig und unruhig drängenden Gebeten stets lebendig bleibt und so große Spannungsbögen schlägt. Damit wirken die Litaneien ein wenig wie ein Vorläufer der 1863 verfassten Petite Messe Solennelle von Giacchino Rossini, der von Moniuszko sehr geschätzt wurde.

In der ersten Litanei eröffnet der Chor nach einem kurzen Vorspiel das tänzerische Kyrie, in dem die Dringlichkeit der Bitte durch Drive und ansteigende Tonlagen deutlich gemacht wird; erst dann treten die Solisten insistierend hinzu: Ingrida Gápová mit schlankem Sopran, die voll-timbrierte Altistin Marion Eckstein, der solide Tenor Sebastian Mach und Maximilian Argmann mit grundiertem Bariton. In dem getrageneren  Sancta Maria agieren sie als Vorsänger. Das pulsierende Salus infirmorum wird vom ruhigen Agnus dei abgelöst, bevor die Litanei nach einem eindringlichen Aufschrei des Chores Christe audi nos leise erlischt.

Eingefügt ist hier Sub tuum praesidium (Unter deinem Schutz), eine am Karfreitag 1857 in Vilnius uraufgeführte Antiphon zur Verehrung der Heiligen Jungfrau Maria von der Ostra Brama. Ursprünglich für Bariton und Orgel geschrieben, ist sie auf dieser CD in einer von Moniuszkos Schüler Zygmunt Noskowski erstellten Fassung mit Orchester eingespielt. Maximilian Argmann gibt der eher schlichten Melodie mit leichten Verzierungen ausdrucksvoll Gestalt.

Die beiden übrigen Litaneien ähneln im Aufbau und mit ihren Tempowechseln der ersten. Es seien hier nur einige Dinge hervorgehoben: In der zweiten Litanei zieht das melodiöse Kyrie mit positivem Schwung klangvoll vorbei; Solisten und Chor sind besonders ausgewogen. Mit Nachdruck werden die Bitten im Christe audi nos vorgetragen. Mit dem fast walzerartigem Agnus Dei endet die zweite Litanei gefällig. Ebenfalls von Noskowski instrumentiert wurde die Motette Ecce lignum crucis für Bariton, Chor und Orchester, die – obwohl erst 1868 komponiert – an dieser Stelle der CD eingesetzt wurde; der gut durchgebildete Bariton klingt hier in den Höhen allerdings angestrengt. Der folgende instrumentale Trauermarsch zu Ehren von Antoni Orlowski scheint nicht unbedingt von Moniuszko zu sein. Es ist möglicherweise ein Marsch von dem Verstorbenen selbst, den Moniuszko nur instrumentiert und bei der Beerdigung dirigiert hat. Witzig ist, dass der Marsch im Verlauf Tempo aufzunehmen scheint, als ob man es eilig hätte; dann wird das Tempo wieder eingefangen und führt über eine grandiose Steigerung zum ruhigen Schluss.

Das kurze, titelgebende Requiem Aeternam ist eine Kantate für 11 Solostimmen, Chor und Orchester. Ungewöhnlich durch die Kürze – nur 4’42 Minuten – ist es ein besonders eindringliches Werk, das mit intensiver Interpretation beeindruckt. Besondere Melodieführung und chromatisch auf- und absteigende Linien gelingen sehr gut.

Die dritte Litanei beschließt die Aufnahme; im Kyrie besticht abermals der homogene und ausgewogene Chorklang. Sehr flott akzentuiert kommt das Sancta Maria daher, schlichte Melodik beherrscht das Janua caeli. Das abschließende Agnus Dei überzeugt ebenso in den dramatischen Phasen wie in den ruhigeren Teilen bis zum eindrucksvollen Schluss.

Die ausgezeichnete Gesamtleistung aller Akteure macht diese Aufnahme besonders, so dass man gerne mehr von Moniuszko hören möchte (MDG 902 2278-6). Marion Eckels

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Darf sich ein Rezensent bei der Beschäftigung mit einer CD zunehmend mehr für das Leben des Komponisten interessieren als für das ihm vorliegende Werk?  So geschehen mit Feliks Nowowiejskis Oratorium Der verlorene Sohn, dessen 1877 im Ermland geborenem Schöpfer der ihn sein ganzes Leben begleitende Konflikt bereits in die Wiege gelegt worden war mit einer deutschen Mutter und einem polnischen Vater. Der junge Nowowiejski konnte besser Deutsch als Polnisch, sich schriftlich nur im Ersteren äußern, als er nach den Stationen Wartenberg und Allenstein nach Berlin ging, um seine musikalischen Studien zu vollenden, nachdem er bereits als Geiger und Komponist für das Preußische Grenadier-Regiment in seiner Heimat gewirkt hatte. In Berlin wurde Max Bruch sein Mentor, wirkte er als Organist an der St.-Hedwigs-Kathedrale und danach an St. Paulus in Moabit, wo eine Tafel an ihn erinnert. Gleichzeitig verkehrte er in polnischen Emigrantenkreisen, ging 1909 nach Krakau und schrieb 1910 zur Feier des Jahrestags der Schlacht von Tannenberg ein patriotisches Lied gegen die Germanisierung ursprünglich slawischer Gebiete. Davor hatte er bereits erste Erfolge als Komponist, für Der verlorene Sohn den Giacomo-Meyerbeer-Preis erhalten, und sein Oratorium Quo Vadis wurde in ganz Europa und sogar in der Carnegie Hall aufgeführt. 1914 zog er wegen der Anfeindungen durch seine polnischen Landsleute nach Deutschland und tat als Musiker Dienst im deutschen Militär, 1918 siegte die polnische Seele in ihm, seine davon diktierten propolnischen Äußerungen kosteten ihn die Freundschaft Max Bruchs, 1939 floh er vor den Deutschen nach Krakau, kehrte 1945 nach Posen zurück und verstarb dort 1946. In Polen wird seiner an vielen Orten und oftmals gedacht, in Berlin fanden immerhin 2009 und 2014 Festivals zu seinen Ehren statt.

Das Libretto zum Verlorenen Sohn stammt von Theobald Rehbaum, ist also in deutscher Sprache verfasst, in der es auch in der vorlegenden Aufnahme aus Allenstein, heute Olsztyn, gesungen wird. Die polnischen Solisten bemühen sich um eine gute Diktion, was ihnen nicht immer gelingt, so dass man den Text nicht durchgehend versteht,  beim Chor ist ein Verstehen völlig ausgeschlossen. Deshalb wäre ein Abdrucken des Librettos in der Originalsprache und natürlich in Polnisch eigentlich unverzichtbar. Auch demjenigen, der bibelfest ist und die Geschichte vom verlorenen Sohn aus dem Lukas-Evangelium gut kennt, ist nicht viel geholfen, denn sie wird hier mit den Protagonisten Vater-Mutter-Sohn und einem Chor erzählt, womit der Konflikt zwischen den Brüdern ausgespart wird, der Komponist wohl zugunsten der vokalen Vielfalt darauf verzichtete.

Das eher spröde Thema hindert den Komponisten nicht daran, im Vorspiel ungeheure spätromantische Klangwogen zu entfesseln, virtuose Soloeinlagen voller Raffinesse anzubieten, mit Orgel- wie Harfenklängen den Eindruck ungebändigter Naturgewalten oder  ungebremster erotischer Ergüsse zu erwecken, als nahe der Welt Ende, ehe die Vokalsolisten zu Wort kommen. In den Kapiteln Der Sohn, Die Mutter und Der Vater, wird also wohl Zerknirschung, Bitte um Vergebung und der Sieg mütterlicher und väterlicher Liebe dargestellt, ehe sich der Chor, ca. 70 Personen umfassend, noch einmal in monumentaler Weise eindrucksvoll zu Wort meldet. Die Solisten können mit robusten, gesunden Stimmen aufwarten: Agnieszka Rehlis mit sattem, tragfähigem Mezzosopran, Arnold Rutkowski mit frischem, slawisch herbem Tenor und Lukasz Konieczny mit kraftvollem, manchmal  etwas dumpfigem Bass. Der Szymanowski Philharmonische Chor Krakau unter Piotr Piwko ist mit viel Drive bei der Sache und weiß zu imponieren, das Sinfonieorchester der Feliks-Nowowiejski-Warmia-und-Masuren-Philharmonie unter Piotr Sulkowski kann man für die die Bewältigung der anspruchsvollen Partitur nur bewundern. Gut kann man sich die Ouvertüre als Teil eines Sinfoniekonzerts vorstellen (Dux 1693). Ingrid Wanja

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PS.: Zu Nowowiejski gibt es bei operalounge.de ebenfalls zwei sehr ausfühlichen Artikel zu Leben und Werk anläßlic seiner Oper Quo vadis (Die vergessene Oper 62) und seiner Baltischen Legende (Die vergessene Oper 123), diese nun in Polnisch, weshalb man Dux und Piotr Piwko nicht genug Anerkennung zollen kann, den Verlorenen Sohn im  originalen Deutsch herausgebracht zu haben. Das ist auch im heutigen Polen immer noch keine Selbstverständlichkeit. G. H.