Ersteinspielung

 

“Who doesn’t have a prison?” fragte der Gefangene in Henry B. Brewsters philosophischem Werk The Prison: a Dialogue von 1891. Und die zunehmend ertaubende Ethel Symth mag sich vermutlich auch als Gefangene in einer verstummenden Welt gesehen haben. Mit dem Gefängnis hatte sie übrigens 1912 nach einer Aktion der britischen Frauenrechtsbewegung während einer zweimonatigen Haftstrafe selbst Erfahrungen gesammelt. 1930 nahm sich die 72jährige neuerlich The Prison ihres langjährigen Freundes Brewster vor und formte aus den Gesprächen von vier Freunde, die sich über das Manuskript eines Gefangenen auseinandersetzen, das er am Abend vor seiner Hinsichten verfasste, den Dialog des Gefangenen (Bariton) mit seiner Seele (Sopran): eine gut einstündige Sinfonie für Sopran und Bariton-Solisten, Chor und Orchester. Ein spätes Abschiednehmen von ihrem 1908 verstorbenen Freund Brewster, der ihr auch die Libretti zu ihren Opern verfasst hatte und mit dem sie eine lange platonische und nach 1895 auch sexuelle Beziehung verbunden hatte

Die Seele söhnt den Prisoner mit seinen inneren Ängsten und Zweifeln aus und lässt ihn den Tod in Friede annehmen, bis er im Epilog verkündet „I am the joy and the sorrow…“ und die Seele seine Worte aufnimmt, „This is no leavetaking…“. Man hat das Werk mit Elgars The dream of Gerontius verglichen. Auch das eine typisch britische Angelegenheit. Neunzig Jahre nach seiner Entstehung (Uraufführung 1931 unter Leitung der Komponistin) nehmen sich das New Yorker Experimental Orchestra and Chorus unter James Blanchly und die Solisten Sarah Brailey und Dashon Burton das Werk vor, ohne es durch die verdienstvolle Ersteinspielung retten zu können. vor. Zu schwerfällig und eher bemüht als inspiriert hangeln sich Chor und Solisten an den weinerlichen Zeilen entlang, es kommt zu zwitschernden Naturbildern mit Harfe und Holzbläsern, zu ermüdenden Wiederholungen, bombastischen Ausbrüchen. Trotz der zarten Sopranlinien von Sarah Brailey und des aufbegehrenden Baritons von Dashon Burton, trotz der sauberen Chöre und des stimmungsvollen Orchesterspiels ermüdet das salbungsvolle Werk den geneigten Hörer rasch (Chandos CHSA 5279, mit ausführlichem dreisprachigen Textheft).   Rolf Fath