Bruckner in St. Florian

.

Das Bruckner-Gedenkjahr 2024 fördert nicht nur eine Vielzahl an Neueinspielungen seines mannigfaltigen sinfonischen Schaffens, sondern jetzt auch eine weitere sehr löbliche, mit Erinnerung betitelte Ausgrabung zutage. Verantwortlich zeichnet das Label Solo Musica (SM 450) in Zusammenarbeit mit den St. Florianer Sängerknaben, einem seit bald einem Jahrtausend bestehenden Knabenchor aus Oberösterreich (belegt ab 1071). Anton Bruckner, der heuer 200 Jahre alt würde, war nicht nur zwischen 1838 und 1840 selbst Mitglied des besagten Knabenchors, sondern komponierte auch geistliche Werke, die in enger Verbindung mit diesem berühmten Augustiner-Chorherren-Stift stehen. Vier Motetten sind auf der CD inkludiert: Locus iste (1869), Os justi (1879), Ave Maria (1861) und Tota pulchra es (1878). Zurecht betont der kundige Booklettext, dass die genannten Stücke weltweit zum Standardrepertoire der großen Chöre gehören, allerdings nur wenige Einspielungen mit Knabenchören vorlägen. Diesem Manko wird mit der Neuveröffentlichung mustergültig entgegengesteuert, ist das künstlerische Niveau der Solisten und des Chors der St. Florianer Sängerknaben doch unstrittig, zu welchen sich noch der nicht minder hochrangige Männerchor derselben gesellt. Die beseelte Chorleitung hat der Tenor Markus Stumpner inne. Dazu gesellt sich Pange lingua C-Dur, welches Bruckner im Alter von gerade elf oder zwölf komponierte und 1891 im hohen Alter gar noch einmal überarbeitete. Mit dem Psalm 22 (1852) wird die einzige Bruckner’sche Psalmvertonung, die für Klavierbegleitung gesetzt ist, beigesteuert. Ein außerordentlich berührendes weiteres Ave Maria für Altsolo und Orgel (1882) komplettiert die geistlichen Werke und wird hier solistisch vom großartigen Countertenor Alois Mühlbacher vorgetragen, der tatsächlich in der Lage ist, die vom Komponisten gestellten hohen Anforderungen scheinbar mühelos umzusetzen. Die Begleitung an der St. Florianer Brucknerorgel steuert Klaus Sonnleitner bei, der auch mit Vorspiel und Fuge c-Moll (1847) eine selbständige Orgelkomposition Bruckners (eine von lediglich fünf zu Papier gebrachten) verantwortet. Ansonsten improvisierte Bruckner als Organist ganz überwiegend.

Dem nicht genug, wurden bei dieser Veröffentlichung erfreulicherweise auch säkulare Werke inkludiert. Lieder mit Klavierbegleitung nehmen in Bruckners Œuvre bekanntlich einen winzigen Raum ein, wozu sich der Tonsetzer folgendermaßen geäußert haben soll: „I könnt’s schon, wenn i woll’t, aber i will nicht“. Dabei führen Mein Herz und deine Stimme (nach August von Platen, 1868) und Im April (nach Emanuel Geibel, 1865) die Meisterschaft Bruckners auch in diesem Genre vor Augen. Wiederum agiert Mühlbacher als Solist, einfühlsam begleitet von Franz Farnberger am 2021 restaurierten Brucknerflügel, demjenigen Bösendorfer-Instrument, an welchem Bruckner zwischen 1848 und 1896 selbst spielte. Das ebenfalls von Farnberger intonierte fünfminütige Charakterstück Erinnerung (um 1868) stellt eines der raren Klavierwerke des Komponisten dar und ist mit einiger Wahrscheinlichkeit derer auch das anspruchsvollste.

Abgerundet wird das Ganze durch das Männerquartett Herbstlied (1864), welches für vier Männerstimmen, zwei Soprane und Klavier gesetzt ist, und die Männerchöre Um Mitternacht (1864) – mit Klavier und Altsolo –, Trösterin Musik (1877) – wiederum mit Orgelbegleitung – sowie Der Lehrerstand (1847).

Künstlerisch wie klanglich eine herausragende Repertoireerweiterung (Aufnahme: Spätsommer 2023 in den Räumlichkeiten des Stifts St. Florian bzw. in der Stiftsbasilika). Uneingeschränkte Empfehlung, nicht nur für eingeweihte Brucknerianer. Daniel Hauser