Frankophiles Bekenntnis

 

Bereits nun gut zwei Jahre steht der sympathische britische Dirigent Robin Ticciati, 36, an der Spitze des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Seine Berufung, soviel kann man schon heute sagen, hat sich ausgezahlt. Dass er eine Vorliebe insbesondere für die französische Musik hat, konnte man anhand seiner mittlerweile ganz ansehnlichen Diskographie erahnen. Nun legt Linn (CKD 623) erneut in Koproduktion mit dem Deutschlandfunk Kultur einen weiteren Beleg für diese Annahme vor. Claude Debussys spätromantische Nocturnes sowie das Requiem von Maurice Duruflé, eine der erfolgreichsten Vertonungen einer Totenmesse im 20. Jahrhundert.

Fraglos sind die dreisätzigen Nocturnes, vollendet 1899, vom Impressionismus beeinflusst, wie schon beim berühmten Vorgängerwerk Prélude à l’après-midi d’un faune. Konkret waren es die ebenfalls als Nocturnes betitelten Gemälde des amerikanischen Malers James McNeill Whistler, die Debussy inspirierten. Die Rolle eines Vorspiels nehmen dabei die lyrischen Nuages ein, welche sich durch eine schemenhafte Atmosphäre auszeichnen. Die im Zentrum stehenden Fêtes sind ein ungleich weltlicheres, von Trompetenklängen geprägtes Stück mit Feierlaune. In den abschließenden Sirènes kehrt der Komponist wiederum zum ruhigeren Tonfall zurück, verleiht dem Satz allerdings eine spürbare Melancholie, welche durch den Einsatz eines textlosen Frauenchores, welcher die undefinierbaren Sirenengesänge symbolisiert, unterstrichen wird. An gelungenen Einspielungen besteht kein Mangel – darunter Abbado in Boston und Boulez in Cleveland (beide DG) –, doch kann sich Ticciatis Neuinterpretation durchaus neben den besten behaupten, wozu auch die Linn-typisch ausgezeichnete Tontechnik beiträgt (aufgenommen zwischen 19. und 22. März 2019 im Großen Sendesaal des Hauses des Rundfunks Berlin).

Sowohl der gregorianische Gesang als auch das über ein halbes Jahrhundert zuvor entstandene Requiem von Fauré prägten Duruflés Komposition, die Ticciati in der 1947 entstandenen Urfassung vorlegt, welche sich teils stark von den späteren Bearbeitungen für Orgel und Chor (1948) und für Kammerorchester (1961) unterscheidet. Interessant vor allem, dass in dieser Einspielung auf den eigentlich vorgesehenen Bariton-Solisten verzichtet wird, dessen Part von Unisono-Bässen übernommen wird – ein vielleicht nicht völlig idiomatisches, gleichwohl letztlich überzeugendes Vorgehen. Solistisch dafür der Mezzosopran von Magdalena Kožená, deren dunkler Tonfall sich als dem Werke angemessen erweist. Wirklich herausragend der von Gijs Leenaars einstudierte Rundfunkchor Berlin, der einen Großteil des Requiems dominiert. Tatsächlich erreicht diese moderne Digitaleinspielung beinahe die legendäre, vom Komponisten höchstselbst verantwortete Aufnahme mit dem Orchestre Lamoureux von 1959 (Erato) – und weist nahezu exakt dieselben Spielzeiten auf. Das informative Booklet mit einem Essay von Stephen Walsh rundet diese Produktion auf hohem Niveau ab und lässt sie als so etwas wie die moderne Referenz für beide Werke erscheinen. Daniel Hauser

 

Robin Ticciati hat seit seinem Amtsantritt als Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin Akzente gesetzt, die sich vom gängigen Repertoire deutlich abheben. Dazu gehören auch Werke französischer Komponisten. Mit L’enfance du Christ und Roméo et Juliette führte er gleich zwei große Schöpfungen von Hector Berlioz auf. Ein dankbares Publikum fand auch die Musik von Claude Debussy zu dem Mysterienspiel Le martyre de Saint Sébastien von Gabriele D’Annunzio. Deutschlands Hauptstadt Berlin versteht sich gern als europäische Metropole. Der erst 35-jährige britische Dirigent Ticciati füllt diesen hohen Anspruch auf seine Weise aus. Es scheint kein Zufall zu sein, dass die ersten CDs mit seinem Berliner Orchester ein französisches Programme zum Inhalt hat. Bei LINN Records, wo auch schon mehrere Einspielungen mit dem Scottish Chamber Orchestra herausgekommen sind, wurden nun Debussys La Mer und die Ariettes oubliées sowie Pelléas et Mélisande und das Vorspiel zur Oper Pénelopé von Gabriel Fauré vorgelegt, Made in Lithunia – auch das ein zusätzlicher europäischer Aspekt (CKD 550). Es handelt sich um Studioproduktionen, die in der Berliner Jesus-Christus-Kirche entstanden. Wegen ihrer exzellenten Akustik dient sie schon seit fünfzig Jahren als Aufnahmestudio. Viele legendäre Einspielungen unter Dirigenten wie Furtwängler, Karajan, Barbirolli, Böhm, Fricsay und Abbado haben den Namen der Kirche in alle Welt getragen. Ticciati knüpft also in Zeiten, wo aus Kostengründen der Mitschnitt immer öfter die Aufnahme unter Studiobedingungen ersetzt, an eine große Tradition an.

Die stimmungsvollen Ariettes oubliées sind im Gegensatz zu den anderen Stücken der CD nicht eben häufig zu finden auf dem Musikmarkt. Ursprünglich wurde dieser Liederzyklus nach Versen von Paul Verlaine, dem sich Debussy künstlerisch verbunden fühlte, für Singstimme und Piano komponiert. Dichter und Komponist begegneten sich in der Suche nach neuen rhythmischen Ansätzen und Klangfarben des Ausdrucks. Verlaines Verse entfalten durch die Musik eine zusätzliche Dimension. Instrumentierte wurde sie von dem australischen Komponisten, Bratscher und Dirigenten Brett Dean, Jahrgang 1961. Mit seiner Orchestrierung ist er nicht auf eigene Ambitionen aus. Debussy bleibt Debussy. Nur Kennern dürfte erkennen, dass der Zyklus von fremder Hand in dieser diskreten und verantwortlichen Weise bearbeitet worden ist. Schon dieser Besonderheit wegen, werden die Lieder zum Mittelpunkt der CD. Solistin ist Magdalena Kozená, die Ende 2018 in der Berliner Philharmonie bei einer szenischen Aufführung des Messias unter Ticciati mitwirkte. Man kennt sich also. Während es ihr bei Händel etwas an Tiefe gebrach, gelingen ihr die stimmlich in der Mittellage angelegten Lieder ganz vorzüglich. Es ist ein Genuss, ihr zuzuhören. Rüdiger Winter