Den Terminkalender von Michael Volle scheinen Wagner und Strauss zu dominieren. Holländer, Wotan, Wanderer, Sachs, Amfortas vom einen, Barak, Orest, Jochanaan, Mandryka vom anderen. Dazwischen aber auch Mozart mit Almaviva und Alfonso sowie Scarpia und Verdis Falstaff. Für den Oktober 2019 ist der Herr Fluth in einer Neuinszenierung der Lustigen Weiber von Windsor an der Berliner Staatsoper unter Daniel Barenboim angekündigt. Der Bariton gibt sich also vielseitig. Und das ist gut so – gut für ihn, gut für seine Publikum. Wer sonst außer ihm hat in seiner Liga noch Wagner und Nikolai gleichzeitig im Repertoire? Auf den Ford darf man also gespannt sein. Neben dem Opern- und Konzertsänger Michael Volle gibt es auch noch den tüchtigen Liedersänger sowohl auf dem Podium als auch im Studio. Brilliant Classics hat jetzt Lieder von Johannes Brahms zusammengetragen, die bereits vor zehn Jahren, nämlich zwischen März und April 2007 entstanden sind (95916) – fast hundert an der Zahl, verteilt auf drei CDs. Dass die Vier ernsten Gesänge dabei sind, versteht sich von selbst. Eingebettet zwischen andere Lieder klingen sie weniger bitter und strenger als gewöhnlich. Volle stimmt tröstliche, ja sanfte Töne an. An einigen Stellen, wenn er die Stimme bis zum Stillstand zurück nimmt, musste ich mir erst wieder bewusst machen, dass er tatsächlich gerade diesen Zyklus vorträgt. Es hätte auch ein anderes Lied des Komponisten sein können. Das soll keine Kritik sein, vielmehr der Hinweis auf sein Vermögen, das Brahms‘sche Idiom genau zu treffen. Es ist, als hätte dieser Meister des Liedes für ihn komponiert.
Die ernsten Gesänge sind nicht die einzige geschlossene Gruppe, die in der Edition berücksichtigt wurde. Dieser konzeptionelle Zusammenhalt erweist sich als Gewinn, wenn man also auf sich wirken lassen kann, was als zusammengehörig gedacht gewesen ist. Aufgenommen wurden die Lieder und Gesänge von Georg Friedrich Daumer op. 57. Daumer dürfte mehr als Erzieher des legendenumwobenen Findlings Kaspar Hauser in Erinnerung geblieben sein denn als Dichter und Religionsphilosoph. Brahms schätzte ihn, denn er griff auch für seine Liebeslieder auf Daumer-Verse zurück. Durch die kunstvolle Vertonung werden die in ihrem Bemühen, Stimmungen und Empfindungen auszudrücken, mitunter sehr simpel und reimbetont daher kommenden Verse auf die Plätze verwiesen. Pianist dieser Werkgruppe ist Karl-Peter Kammerlander. Im Vergleich dazu sind die Romanzen aus Ludwig Tiecks Wundersamer Liebesgeschichte der schönen Magelone und des Grafen Peter aus der Provence op. 33 von sehr edlem Zuschnitt. Für die Aufnahme wurden jene Prosatexte hinzugezogen, aus denen sich erst der Sinn der einzelnen Romanzen ergibt. Brahms selbst hatte das so nicht gewollt. Er konnte davon ausgehen, dass sein gebildetes Publikum die berühmte Geschichte gut genug kannte, um die Zusammenhänge selbst herzustellen. Für die Gegenwart indessen ist der Mix aus Wort und Musik eine realistische Lösung. Die knapp achtzig Minuten vergehen über der Geschichte wie im Flug, zumal Volle stets gut zu verstehen ist. Rezitator ist sein Bruder Hartmut, ein renommierter Schauspieler, der übrigens jünger klingt als sein sieben Jahre nach ihm geborener Sängerbruder. Daraus ergibt sich ein zusätzlicher interpretatorischer Reiz. Am Klavier sitzt diesmal Adrian Baianu.
Duette für Alt und Bariton op. 28 stehen am Beginn der dritten CD, die von Helmut Deutsch begleitet wird. Dabei bedient sich Brahms bei Eichendorff, Goethe und Hoffmann von Fallersleben. Stilistisch heben sie sich gegen die Magelone ab, die in der Kopplung mit den Texten mitunter an ein Singspiel denken lässt. In den Duetten sind beide Stimmen ungemein kunstvoll miteinander verflochten wie das nur Brahms versteht. Partnerin von Volle ist die Mezzosopranistin Stephanie Irányi, die auch bei der folgenden Auswahl aus den Deutschen Volksliedern mitwirkt. Dabei sparen beide nicht mit gestalterischen Effekten. Rüdiger Winter