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„Ruhn in Frieden alle Seelen“: Die Litanei auf das Fest aller Seelen ist gut gewählt für den Einstieg in ein Programm mit Liedern von Franz Schubert. Ist der Titel der Dichtung von Johann Georg Jacobi (1740-1814) auch sperrig und sprachlich nur aus der Zeit zu verstehen, die tiefe musikalische Umsetzung ist es nicht. Im Gegenteil. Sie entfaltet Sogwirkung. Jacobi hatte als Schriftsteller einen schweren Stand bei Zeitgenossen. Goethe, Klopstock oder Lichtenberg lästerten scharfzüngig über ihn. Schubert aber muss sich zu ihm hingezogen gefühlt haben, er vertonte ihn mehrfach. Auch Mozart und Schumann bedienten sich bei ihm. Besagtes Lied bezieht sich auf das katholische Allerseelenfest, bei dem aller Verstorbenen gedacht wird, also auch jener armen Seelen, die im Fegefeuer ihre Sünden büßen. Schubert war Katholik. Mit fünfeinhalb Minuten ist das Lied vergleichsweise lang. Folglich muss es der Interpret beim Vortrag klug strukturieren, um die Spannung aufrechtzuhalten. Philippe Jaroussky gelingt das vorzüglich. Er singt es stromlinienförmig in einem leichten auf und ab. Bei ihm klingt es – und das macht den ganz besonderen Reiz aus – ein bisschen nach Arie. Der für lange Zeit mit Koloraturen gepflasterte Weg des Künstlers schimmert immer noch hindurch.
Seine neue CD ist bei Erato erschienen (01902967377688). Jérôme Ducros hat die Begleitung am Klavier übernommen. Es handelt sich um die dritte Zusammenarbeit beider Künstler. Der französische Pianist tritt auch als Komponist in Erscheinung. Gelegentlich – wie beim Musensohn – schenkt Ducros mit seinem rasanten Tempo dem Sänger nichts. Auffällig anders klingen hier und da gewisse musikalische Details. Schuberts Unergründlichkeit wird unkonventionell ausgetestet. Nicht nur vom Pianisten. Auch Jaroussky macht vieles anders, weil er nun mal kein geborener Schubert-Interpret ist, der schwer am Erbe eines Wunderlich, Fischer-Dieskau oder seines Landsmanns Souzay zu tragen hätte. Dieser Last und damit auch diesem Vergleich ist er, der Countertenor, ledig – der künstlerischen Verantwortung jedoch nicht. Er muss eigene Wege gehen. „Stets hat die Klarheit und Tiefe der Musik von Schubert mein musikalisches Leben begleitet – als Geiger, Pianist und schließlich als Sänger“, schreibt Jaroussky im Booklet und bezeichnet das Album als „eine Liebeserklärung“ an dessen „ergreifendes Genie, aber auch an die deutsche Sprache, der ich mich immer mehr verbunden fühlte“.
Das Programm scheint nicht immer den individuellen stimmlichen Möglichkeiten angepasst zu sein. Schon im zweiten Lied Herbst kann Jaroussky dem Romantiker Ludwig Rellstab nicht überzeugend folgen, wenn der darüber sinniert, dass die Blüten des Lebens dahin welken und die kalten Winde über dem Hügel den Rosen der Liebe den Tod bringen. Statt Stimmungen zu erzeugen gefällt er sich in gekünstelten Mitteilungen, die den Bezug zur Musik zu verlieren drohen. Drittens schließlich „Du bist die Ruh‘“ nach einem Gedicht von Friedrich Rückert. Da ist Jaroussky in aller Schlichtheit ganz auf der Höhe. Wenn auch die obere Lage angestrengt wirkt, geht dieses Lied wie hingehaucht vorüber. Insgesamt werden neunzehn Titel geboten. Gemessen an der Kapazität der CD bleiben noch gut zehn Minuten übrig. Es gibt keinen Anlass, daraus ein Manko abzuleiten, zumal die Zusammenstellung mit Liedern wie An die Musik, Nacht und Träume, Ellens dritter Gesang (Ave Maria) von einem Höhepunkt zum anderen führt. Rüdiger Winter