Die ersten Töne vom Grünen Hügel

 

Auf zwölf CDs wird die Besetzung der Werke Richard Wagners auf dem Grünen Hügel bis zum Ende des nachhaltigen Wirkens seiner Witwe Cosima so vollständig wie nur möglich rekonstruiert. Im Zentrum stehen die legendären Aufnahmen der Gramophone and Typewriter Company (G&T), die 1904 in einem Bayreuther Hotel mit dem Ziel entstanden sind, Festspielsänger authentisch zu verewigen. Liegen von einem der Sänger oder einer der Sängerin keine Aufnahmen von in Bayreuth dargestellten Rollen im genannten Zeitraum vor, wird auf spätere Einspielungen beziehungsweise andere Titel, die nicht selten auch weit nach 1906 aufgenommen wurden, zurückgegriffen. Im Idealfalle aber – und das ist zum Glück ziemlich häufig der Fall – hören wir das, was Bayreuthbesucher schon um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert vernommen haben.

Johanna Gadski

Johanna Gadski

Das sehr umfangreiche und akribisch angelegte Beiheft – jetzt wesentlich professioneller gedruckt als bei der ersten Auflage – stellt dieses komplizierte Netzwerk einer wissenschaftlichen Arbeit gleich übersichtlich und gut nachvollziehbar dar. Um nur ein Beispiel zu nennen: Leopold Demuth hat den Hans Sachs in Bayreuth gesungen und ist mit dieser Rolle auch dokumentiert, wenngleich der Auftritt 1899 stattfand, die Platte aber erst im Mai 1909 – also drei Jahre nachdem Cosima die Festspielleitung an ihren Sohn Siegfried abgegeben hatte. Ein Blick  genügt, und wir wissen bestens Bescheid und müssen uns fortan nicht mehr durch einen Berg von Bayreuthliteratur, die sich nicht selten als unzuverlässig erweist, arbeiten. Für sich genommen, ist dies schon eine außerordentlich bedeutsame Leistung, die wir dem Herausgeber der Edition Michael Seil zu verdanken haben. Wer ist dieser Mann? Ein Lehrer für Erdkunde aus der Gegend um Heilbronn mit solider musikalischer Grundausbildung, der nebenbei auch noch singt – also „einer vom Fach“, wie er selbst sagt. Das ist ehr untertrieben, denn wir dürfen Seil getrost den Mann vom Fach nennen, wenn es um Wagner aus der Pionierzeit der Schallplatte geht. Die Edition beschäftigte ihn 14 Jahre lang. Das heißt: Er war erst 18, als er damit begann, alte Schellackplatten zusammenzutragen und in ein ordnendes Prinzip zu stellen. Inzwischen füllen diese Platten – wie er es launig ausdrückt – ein „halbes Haus“. Weltweite Kontakte wurden geknüpft, um Lücken zu schließen. Sammler öffneten bereitwillig ihre Archive. Ohne deren Hilfe wäre nicht möglich gewesen, was wir heute in Form dieser Sammlung in Händen halten. Seil weiß diese Unterstützung sehr zu schätzen. Das eigentliche Wunder aber – um im Wort des Anfangs zu bleiben – ist die akustische Qualität der mehr als 300 einzelnen Dokumente von 93 Sängern und vier Dirigenten. Dafür ist Christian Zwarg zuständig, der wie Seil musikalisch ausgebildet ist.

Erik Schmedes

Erik Schmedes

Die Arbeit beginnt damit, dass eine möglichst gut erhaltene Schelllackplatte des jeweiligen Stücks vorliegen oder erst aufgetrieben werden muss, die dann mit der Partitur abgeglichen wird. Ist dieses nicht eben geringe Problem gelöst, braucht es die richtige Abtastnadel – auch eine Wissenschaft für sich. Denn Nadel ist nicht gleich Nadel. Schier unübersehbar ist die Anzahl der Produkte. Die Platte muss schließlich genau zentriert, die richtige Umdrehungszahl – hier gibt es erhebliche Abweichungen – gefunden werden. Das braucht seine Zeit. Berücksichtigt werden wollen die akustischen Bedingungen in den einzelnen Aufnahmestudios. An Hand einer Spektralanalyse werden störende Nebengeräusche herausgefiltert und behutsam entfernt. Mit einer von Zwarg entwickelten Software lassen sich schließlich die bei der Einspielung entstandenen Verzerrungen zurückrechnen. Eine größtmögliche Annäherung an das Original scheint nunmehr gegeben. Besser geht es wohl nicht. Die Altvorderen rücken näher an uns heran. Wir hören sie neu und müssen Eindrücke, die wir aus anderen Sammlungen gewonnen haben, vergessen. Auch wenn das Knistern verschwunden ist, die historische Distanz wird nicht aufgehoben – soll sie bitte schön auch nicht. Sie wird plausibel und zwar in dem Sinne, dass wir uns wesentlich besser vorstellen können, wie damals gesungen wurde. Wichtiger ist allerdings die Frage, warum damals so und nicht anderes gesungen wurde. Auch dafür finden sich in der Edition genügend Beispiele. Richard Wagner zumal hat mit seinen Werken, die sich schon der Genrebezeichnung nach (Handlung, Bühnenfestspiel, Bühnenweihfestspiel etc.) vom Opernschaffen seiner Zeit deutlich abhoben, eine Revolution losgetreten. Was heute oft vergessen wird: Diese Werke sollten und mussten auch anderes dargeboten werden, und sie mussten vor allem deutlich vorgetragen werden, damit sich dem ungeübten Ohr die ganze Tiefe des symbollastigen Inhalts erschloss.

Wort und Ton fanden zu gesteigerter Gleichberechtigung, die es so niemals zuvor gegeben hatte. Deutlichkeit ging über alles. Wir kennen die Zitate.

Ein ganz anderer Gesangsstil musste her. Diese Herausforderung war von Sängern, die nur der Virtuosität verpflichtet und dem Theaterschlendrian des 19. Jahrhunderts verfallen waren, nicht zu leisten. Nur so erklärt sich der Plan für eine Stilbildungsschule, der aber auch deshalb scheitern musste, weil an die Stelle des kühnen Ansatzpunktes alsbald der ignorante Alleinvertretungsanspruch der orthodoxen Bayreuther Ideologen trat. Kurz um: Die Edition vermittelt, wie sich Sängerinnen und Sänger unter den Augen und Ohren der allmächtigen Wagner-Witwe und ihres Adlatus’ Julius Kniese in neuen Ausdrucksform versuchten. Das macht großen Eindruck, wenngleich etliche Versuche übertrieben scheinen und sich zu Recht den schon damals verbreiteten spöttischen Vorwurf der Konsonantenspuckerei verdienen. Wie dem auch sei: Die Sänger der Cosima-Ära haben Grenzen durchstoßen und den Weg zu neuen Ufern des Musiktheaters gewiesen. Die Edition von Zwarg und Seil, die nunmehr beim Label

Ernestine Schumann-Heink

Ernestine Schumann-Heink

Panclassics (PC 10288) neu herausgekommen ist, bleibt uns dafür keinen Beweis schuldig.Und das sind die Sänger: Georg Anthes, Josephine von Artner, Hermann Bachmann, Anna Bahr-Mildenburg, Alfred von Bary, Paul Bender, Rudolf Berger, Theodor Bertram, Willi Birrenkoven, Sophie Bischoff-David, Robert Blass, Emil Borgmann, Marianne Brandt, Ellen Brandt-Forster, Carl Braun, Hans Breuer, Otto Briesemeister, Alois Burgstaller, Peter Cornelius, Lorenz Corvinus, Max Davison, Leopold Demuth, Emmy Destinn, Marie Dietrich, Andreas Dippel, Ernest van Dyck, Emilie Feuge-Gleiss, Katharina Fleischer-Edel, Gertrude Foerstel, Moritz Frauscher, Olive Fremstad, Fritz Friedrichs, Johanna Gadski, Emil Gerhäuser, Carl Gillmeister, Pelagie Greef-Andriessen, Wilhelm Grüning, Ellen Gulbranson, Alois Hadwiger, Frieda Hempel, Agnes Herrmann, Emilie Herzog, Allan C. Hinckley, Luise Höfer, Adolf von Hübbenet, Giuseppe Kaschmann, Hans Keller, Beatrix Kernic, Hermine Kittel, Paul Knüpfer, Marie Knüpfer-Egli, Ernst Kraus, Felix von Kraus, Adrienne von Kraus-Osborne, Frieda Langendorff, Martha Leffler-Burckhard, Lilli Lehmann, Carl Lejdström, Max Lohfing, Dezsö Matray, Richard Mayr, Willy Merkel, Ottilie Metzger, Lillian Nordica, Alois Pennarini, Franz-Josef Petter, Olga Pewny, Thila Plaichinger, Leon Rains, Luise Reuss-Belce, Anton van Rooy, Cäcilie Rüsche-Endorf, Alma Saccur, Ida Salden, Karl Scheidemantel, Robert vom Scheidt, Erik Schmedes, Hermann Schramm, Hans Schütz, Ernestine Schumann-Heink, Katharina Senger-Bettaque, Anton Sistermans, Walter Soomer, Mihaly Takats, Milka Ternina, Josef Tyssen, Fanchette Verhunk, Ernst Wachter, Edyth Walker, Clarence Whitehill, Hermann Winkelmann, Erik Wirl, Konrad von Zawilowski.
Rüdiger Winter

  1. Jochen Bachmann, Stockelsdorf (bei Lübeck)

    Beim durchstöbern des Internets fand ich diese Seite mit den ersten Tönen vom Grünen Hügel.
    Der aufgeführte Sänger Hermann Bachmann (Bariton) war mein Großvater. Nun frage ich ob es über Sie vielleicht die Möglichkeit gibt an Tondokumente meines Großvaters zu kommen.
    Ich besitze diese beiden Schellackplatten;
    Götterdämmerung“ von Richard Wagner
    Duett „Vergäss’ ich alles“ gesungen von: Ernst Krauss, Kgl. Preuss. Kammersänger
    Hermann Bachmann, Kgl. Hofopernsänger mit Orchesterbegl. Kapellm. Seidler-Winkler
    BERLIN # 044109
    und
    Meistersinger von Nürnberg“, Richard Wagner
    „Verachtet mir die Meister nicht“gesungen von:Hermann Bachmann, Bariton, kgl. Hofopernsänger
    mit Chor der Kgl. Hofoper und Orchesterbegl. Kapellm. Seidler-Winkler
    BERLIN # 042136
    Ich bitte Sie um eine Tipp wie ich vielleicht ein weiteres Tondokument erwerben kann. Ich denke allerdings, dass die angebotene CD-Box für mich wohl zu umfangreich ist.
    Für eine freundlich Antwort bin ich sehr dankbar.
    Gute Grüße aus dem Norden
    Ihr Jochen Bachmann

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