In früheren, glücklichen LP- und CD-Tagen kam es vor, dass man sich für einen Kauf entschied, weil das Cover besonders anziehend war. Junge Menschen, die nur noch YouTube und Spotify anzapfen, können das nicht mehr nachvollziehen und staunen nicht wenig, wenn sie in Ausstellungen wie zuletzt in Paris und Berlin LP-Kunstwerke etwa von Andy Warhol betrachten, als ob es sich um Dinosaurierschädel aus längst vergangenen Zeiten handele (dies natürlich nur, wenn es einem gelingt, die Jungs und Mädels physisch in eine solche Schau zu zerren). Doch derartige Kleinode gibt es immer noch, die sich durch Inhalt und Aufmachung auszeichnen. Unter dem Titel Cherubini in Wien veröffentlicht das Concerto Stella Matutina, ein junges, 2005 gegründetes Ensemble, das auf historischen Instrumenten unter der Leitung von Martin Skamletz spielt, ein solches Juwel .
Cherubini wurde in Wien hochgeschätzt, nicht zuletzt von Beethoven, welcher die Médée und die Deux journées für mustergültig hielt. Unter den Skizzen seiner Leonore findet sich die Abschrift eines Trios aus letzterer Oper, die im ganzen 19. Jh. beliebt war und für viele die republikanischen Ideale aus Frankreich verkörperte. Zu Beginn des 19. Jh. wurden mehrere Opern Cherubinis auf Wiener Bühnen gespielt, und 1805 kam der Meister selbst in die Hauptstadt, um seine neue Oper Faniska einzustudieren. Gut tat ihm der Aufenthalt in Wien wahrlich nicht: Faniska wurde kaum nachgespielt und ist erstaunlicherweise nach wie vor das einzige bedeutende Stück des Florentiners, das in modernen Zeiten nie ausgegraben wurde; der Komponist selbst verfiel nach dem Wiener Intermezzo in eine tiefe Depression, von der er sich sehr langsam und vielleicht nie ganz erholte. Dabei hatten sowohl das Wiener Publikum als auch, was noch bemerkenswerter ist, sogar seine Kollegen ihn herzlich empfangen.
Die CD erinnert daran, indem nicht nur die Faniska-Ouverture und instrumentale Ausschnitte aus den Deux Journées und Lodoiska, sondern ebenfalls Stücke und Bearbeitungen von Anton Fischer (1778-1804) und Ignaz von Seyfried (1776-1841) eingespielt wurden. Die beiden Herren arbeiteten am Theater an der Wien, wo sie mit der Einrichtung von Cherubinis Werken beauftragt wurden, die wegen der unterschiedlichen Besetzungen in Paris und Wien angepasst werden mussten. Auf den ersten Blick wirkt Hummels Trompetenkonzert in diesem Umfeld fremd, aber das Rondo des 1803 verfassten Werkes zitiert den Marsch aus den Deux journées. Wie Martin Skamletz im lesenswerten Booklet darlegt, wurde das Werk für das Neujahrskonzert 1804 geschrieben. Auftraggeberin war die musikliebende Kaiserin Marie Therese (1772-1807), die sich nicht nur um die schönen Künste kümmerte, sondern in ihrem Wirken offensichtlich politisch Stellung nahm: „Die Akribie, mit der die Kaiserin dieses Konzert gestaltet (…), lässt keinen Zweifel daran, dass auch das Cherubini-Zitat in Hummels Konzert auf ihr kaiserlich-antinapoleonisches Programm des Anlasses zurückzuführen ist“. Das half bekanntlich nicht, aber die Kaiserin setzte in Würde ein Zeichen. Und die Dame konnte auch mehr, denn das Booklet ziert ein unfertiges, aber nettes Bild von ihrer Hand. Sklametz und seine Musiker spielen mit großer Frische das auf eigene Forschungen zurückgehende Programm. Der Versuchung von Turbo-Tempi, die manche Produktion von sich auf die historisch verbürgte Spielweise beziehenden Ensembles verunziert, widerstand man hier erfolgreich. Die Musik fließt würdig und erhaben, was in Hummels Trompetenkonzert, souverän von Herbert Walser-Breuss auf der Nachbildung eines Instrumentes von Alois Doke aus dem 1820er Jahren gespielt, besonders auffällt. So mag das Stück tatsächlich 1804 geklungen haben, fern von der effektheischenden Hysterie moderner Trompetenstars. Diese liebevoll gestaltete CD ist eine kleine Kostbarkeit wie aus einer fernen Epoche. Sie sei allen Liebhabern nicht nur der Musik, sondern der der Kultur um 1800 wärmstens empfohlen (Cherubini in Wien. Werke von A.Fischer, A.M. Grétry (bearb. Fischer), Cherubini, Hummel, I. von Seyfried: Herbert Walser-Breuss (Klappentrompete), Concerto Stella matutina, Martin Skalmetz. Fra Bernardo FB 1811678 (2018).). Michele C. Ferrari