Der „Ring“ ist geschmiedet

 

Gut Ding will Weile haben. Dieser etwas überstrapazierte Ausspruch hat hier auf den ersten Blick seine Berechtigung, denn nach exakt einem Jahrzehnt ist er zu Ende geschmiedet, der Ring von Mark Elder. Ein sichtlich mühevolles Unterfangen, 2009 unüblicherweise mit der Götterdämmerung begonnen, dem zwischenzeitlich gar der Abbruch drohte, denn wie anders ließe sich die fünfjährige Pause erklären, die zwischen Walküre (2011) und Rheingold (2016) klafft? Nachdem er quasi zu Dreivierteln vollendet war, legte man sich zu Manchester dann wohl doch ins Zeug, denn gerade anderthalb Jahre nach dem Rheingold von November 2016 wird nun tatsächlich der im Juni 2018 mitgeschnittene Siegfried nachgeliefert (Hallé CD HLD 7551). Einen kompletten Ring des Nibelungen zu stemmen, daran scheiterte schon manches Major-Label – man denke an den vorzeitig abgebrochenen Dohnányi-Ring aus Cleveland; aber auch das seit Jahren auf Eis liegende Projekt des Mariinski-Theaters unter Gergiev sei in Erinnerung gerufen. Von daher gebührt dem Eigenlabel des altehrwürdigen Hallé Orchestra (des ältesten von ganz England) schon deswegen Respekt.

Elder, mittlerweile einer der großen lebenden Wagner-Dirigenten und längst von Ihrer Majestät in den Adelsstand erhoben, hat es geschafft. Man erzählt dem Wagner-Kenner nichts Neues, wenn man den Siegfried als das Stiefkind der Tetralogie bezeichnet. Das ist ungerecht und doch letztlich erklärbar, genießt der vorabendliche Auftakt eine Art Sonderbonus, gefolgt vom bei weitem beliebtesten und meistgespielten Ersten Tag und bekrönt vom fulminanten Abschluss des Epos am Dritten Tage. Dagegen tut sich der Zweite Tag schwer, gilt er manch einem doch als eine Art bloßes Präludium, sozusagen als Scherzo zur Götterdämmerung, die zeitlich gleichsam nahtlos anschließt. Dabei geht es in keiner anderen Ring-Oper dermaßen Schlag auf Schlag, prescht die Handlung doch zumal im ersten und zweiten Aufzug wie allenfalls im ersten Walküren-Akt nach vorne.

Liefert Elder mit seinen Kräften aus Manchester nun ein nachdrückliches Plädoyer dafür, sich mit dem Siegfried künftig vermehrt zu beschäftigen? Zunächst sei darauf hingewiesen, dass es auch diesmal wie schon bisher im Hallé-Ring wenig Kontinuität hinsichtlich der Besetzung gibt. Weder der Alberich (hier Martin Winkler statt Samuel Youn) noch der Mime (hier Gerhard Siegel statt Nicky Spence) oder die Erda (hier Anna Larsson statt Susanne Resmark) sind mit denselben Sängern aus dem Rheingold besetzt. Das muss nicht immer ein Nachteil sein, schwächelte Youns Alberich doch, so dass Winkler eher ein Gewinn ist. Dafür ist auch diesmal Iain Paterson als Wotan/Wanderer mit von der Partie, genauso Clive Bayley im kleinen Part des Fafner. Sie alle verrichten ihre Arbeit mehr als ordentlich, auch wenn man schwerlich an die bedeutendsten Rollenvertreter denken wird. Paterson scheint der gealterte Göttervater insgesamt besser zu liegen als der im vollen Saft stehende Walküren-Wotan. Am meisten zu tun hat natürlich Gerhard Siegel, der den Mime stellenweise durchaus nicht unsympathisch und insofern als geschickten Manipulierer anlegt; zwergisch klingt er allerdings überhaupt nicht.

Wichtig ist für den Siegfried natürlich die Besetzung der Titelrolle. Die Oper steht oder fällt mir ihr. Simon O’Neill ist beileibe kein Unbekannter, gefeiert als Parsifal und Siegmund. Als Siegfried gerät er stimmlich an seine Grenzen – wie etliche Rollenvorläufer – und zeichnet in seinem Rollendebüt ein ziemlich grobschlächtiges Bild des jungen Helden. Stellenweise klingt es hier fast wie mit vertauschten Rollen, der Mime heldischer als der Siegfried. An dessen Seite gesellt sich im zweiten Akt Malin Christensson als Waldvogel und im dritten schließlich die wieder ins Leben zurückgeholte Brünnhilde, verkörpert von Rachel Nicholls, die bei ihrem überschaubaren Auftritt leider auch schrill und forciert herüberkommt. Andererseits auch kein Wunder, dass ein solch schmächtiger Siegfried nur eine Ex-Walküre light erwecken kann. Nach dem großen abschließenden Schlussduett ertappt man sich beim Gedanken: Länger hätte es wirklich nicht gehen dürfen.

Die orchestrale Seite bewegt sich auf dem gewohnt hohen Niveau, auch wenn man sich dem stürmischen Jubel des „Guardian“ nicht vollumfänglich anschließen kann. Dazu bewegt sich Elders Dirigat dann doch zu sehr im Unbestimmten. Er vermeidet die Extreme, setzt – wie bereits in den Vorgänger-Teilen – insgesamt auf seinen sonoren Klangkörper, der in den mittlerweile bald zwanzig Jahren unter seiner Stabführung einen ganz eigenen, üppigen Klang entwickelt hat, dem allerdings zuweilen die Schroffheit abgeht, die gerade dem Siegfried innewohnt. Es fehlt das letzte Fünkchen Überzeugungskraft. Nach zehn Jahren beschließt dieser Siegfried also den Hallé-Ring. Ausgerechnet der abschließende Siegfried vermag nur in Teilen zu überzeugen. Dies mindert den Gesamtwert des Manchester-Projektes dann leider doch. Den absolut perfekten Ring gibt es indes bis zum heutigen Tage nicht, woran auch Mark Elder trotz all seiner bisherigen Meriten nichts ändern kann. Daniel Hauser