Der Duft von frischem Brot

 

Die Edition der Lieder von Hanns Eisler bei MDG macht schon durch ihre Aufmachung etwas her. Für Vol. 3 (613 2084-2) wurde ein Gemälde von Edward Hopper gewählt. Es ist unter dem Titel „Sonntag“ bekannt geworden. Nach Angaben des Schriftstellers John Updike habe der ursprüngliche Titel „Seventh Avenue Shops“ gelautet. In einem Beitrag für „ZEIT online“ anlässlich einer Hopper-Ausstellung 2004 in London zitiert er den Maler mit den Worten, dass auf dem Bild „nicht unbedingt Sonntag“ sei. „Dieses Wort wurde ihm später von jemand anderem aufgedrückt.“ Der Amerikaner Hopper war ein Zeitgenosse des Komponisten. Sie hätten sich sogar begegnen können. Eisler, der von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner kommunistischen Einstellung verfolgt wurde, war in die USA emigriert und lebte wie Hopper zeitweise in New York bevor er sich 1942 in Hollywood niederließ, wo er sich bessere Chancen für Filmmusikaufträge versprach und auf seinen Freund Bertolt Brecht traf. Dort entstanden auch zahlreiche Lieder, die Eisler eher als Nebentätigkeit verstand, von der Forschung im Nachhinein aber als ganz zentraler Teil seines Schaffens erkannt wurden.

Im Booklet hat der Pianist der Edition Steffen Schleiermacher, der selbst ein erfolgreicher Komponist ist, spannende Fakten zusammengetragen. Eisler schrieb täglich mindestens ein Lied – und damit ein Hollywooder Liederbuch. Diesen Titel ließ er später aber wieder fallen, tilgte die meisten Hinweise auf Hollywood und verteilte die einzelnen Lieder auf mehrer Bände der gedruckten Werke. Schleiermacher: „Erst 1982 … fand in Leipzig die Uraufführung als Zyklus statt, Interpreten waren Roswitha Trexler und Josef Christof. Für Aufführungen wird in der Regel eine mehr oder weniger chronologische Reihenfolge der Lieder gewählt, so auch für die vorliegende Einspielung.“ Textvorlagen fand Eisler meist bei Brecht. In den „Erinnerungen an Schumann und Eichendorff“ greift er den ersten Vers des Gedichts „In der Fremde“ von Eichendorff auf, den Robert Schumann an den Beginn seines berühmten Liederkreises op. 39 stellte. Der Verlust der Heimat wird zu einem zentralen Thema der Sammlung. Eisler verliert sich aber nicht in romantischen Perspektiven. Wie Hopper, der Schöpfer des Coverbildes, sieht er den realistischen Tatsachen ins Auge und empfindet sein Exil vor allem als Ausdruck von Einsamkeit.

Mit 49 Liedern ist der Zyklus zwar umfangreich, hält sich zeitlich aber mit rund 70 Minuten in Grenzen. Eisler pflegte die knappe Form, kommt immer rasch auf den Punkt. Einzig Goethes „Schatzgräber“ fällt mit gut vier Minuten aus dem Rahmen. Der Bariton Holger Falk ist ein idealer Interpret. Er betont nicht nur die Härten und Brüche mancher Kompositionen, sondern spürt auch deren Schönheiten auf, die sich mitunter ganz unvermittelt einstellen, wenn nämlich der „Speisekammer“ (Brecht 1942) der Duft von frischem Brot, süßer Milch und Räucherspeck entströmt, sich mit der schattigen Kühle „einer dunklen Tanne“ mischt und an jene denken lässt, „die überm Meere der Krieg der leeren Mägen hält“.

Auf der ersten CD der Edition ist ein Gemälde zu sehen, das 1929 entstand. Gemalt hat es Otto Griebel und nicht Giebel – wie es im Copyright-Hinweis im Innern des Booklets schwarz auf weiß heißt. So ein Fehler, gewiss nicht mehr als ein harmloser Vertipper, macht stutzig. Wird denn alles andere stimmen? „Internationale“ hat Griebel sein Gemälde genannt, das zum Bestand des Deutschen Historischen Museums Berlin gehört. Der Maler wurde 1895 im sächsischen Meerane geboren und starb 1972 in Dresden. Stilistisch wird er der Neuen Sachlichkeit zugerechnet. Einerseits gibt das Bild eine Vorstellung von Arbeitern als Masse. Andererseits löst sich diese Masse in individuellen Figuren auf. Masse erscheint nicht als gesichtslose Ansammlung von Personen einer bestimmten sozialen Gruppierung, sondern bildet die Summe von einzelnen Menschen mit hochindividuellen Gesichtern. Im Original ist das Bild fast zwei Meter breit und lässt eine ungleich stärkere Wirkung zu als in dieser geschrumpften Form. Was Griebel gemalt hat, setzte Hanns Eisler in Töne. Wenigstens auf dieser CD, dem Vol. 1 (613 2001-2). Eisler, so ist im ebenfalls sehr lesenswerten Booklet-Text von Schleiermacher zu lesen, dürfte an die fünfhundert Lieder komponiert haben, die einschlägigen Nummer aus Bühnen- und Filmmusiken mit eingerechnet. „Bei dieser auf vier CDs konzipierten Sammlung kann es also nicht um das gesamte Liedschaffen des Komponisten gehen, sondern um eine möglichst repräsentative Auswahl der klavierbegleiteten Lieder“, heißt es. Die meisten Kompositionen folgen auch hier Brecht-Texten. Eine Ausnahme bildet gleich als Auftakt das „Bankenlied“ von Jean Baptiste Clement (1836-1903), einem französischen Sänger, der sich sozialistischen Idee verschrieben hatte. Walter Mehring hat den Text ins Deutsche übertragen. Komponiert wurde es für Ernst Busch, der es schneidend und anklagend vorgetragen hat in diversen Einspielungen. Schleiermacher verweist auf den aktuellen Bezug, der sich derzeit allerdings am ehesten in Parteitagsreden der Linken findet.

Falk, der auch diese Lieder singt, arbeitet in seinem Vortrag gemeinsam mit seinem Pianisten die rasanten musikalischen Strukturen, den Einfallsreichtum und nicht die klassenkämpferische Absicht heraus. Das ist so auch bei den anderen Liedern zu beobachten, mit denen es politisch heftig zur Sache geht. Damit setzt sich der Bariton von althergebrachten Interpretationen deutlich ab. Es ist, als würden diese Gesänge salonfähig und ihre Duftmarke aus Arbeiterschweiß abschütteln. Das Publikum hört hin und lässt sich einen guten Wein dazu einschenken. Anders sind diese historischen Gesänge so kompakt wohl kaum zu ertragen. Rüdiger Winter