Die Operette der 20er und 30er Jahre wird wieder populär – das große Comeback ist in vollem Gange, wie man an den Veröffentlichungen und Aktivitäten der Theter (so die Komische in Berlin) sieht … Nun also die Ungarische Hochzeit: Komponiert wurde Nico Dostals streckenweise sehr dünnblütige Kálmán-Imitation auf ein äußerst langweiliges Textbuch mit schwachsinnigen Dialogen. Kurz – eine sehr rückwärtsgewandte Musik mit, immerhin, einer exzellenten Instrumentierung. Es ist ein von diktatorischen Zwängen eingeengtes Werk, das aus den restriktiven Vorgaben der Nazidiktatur das Beste zu machen versucht. Im Grunde ein tragikomischer Versuch, eine Tradition weiterzuführen, deren beste lebende Komponisten längst verstummt sind. Diese Kombination gibt es selten in der Musikgeschichte: Dies ist ein sehr schwaches und trotzdem extrem wichtiges Werk. Dostals Ungarische Hochzeit gilt als letzte klassische Operette überhaupt; Uraufführung war im Februar 1939 in Stuttgart. Sie beschwört zum letztenmal die großen Traditionen herauf, die von Strauss, Kálmán und Co. geprägt wurden. Denn Flucht in die Vergangenheit ist angesagt, eine Handlung auf dem ungarischen Land um 1750, wir erleben eine absolut öde Verwechslungskomödie ohne jeden Charme und Biss – wirklich erschütternd.
Und doch gibt doch etwas, das man in der Partitur als subversiv bezeichnen könnte: Über der „Ungarischen Hochzeit“ liegt eine tiefe Melancholie, die zwar an Kálmán und Lehár erinnert, aber doch auch ein sehr persönliches Depressionsgefühl Dostals auszudrücken scheint; da schwingt eine große Wehmut mit, ein verzweifelter Wille, sich der Realität zu entziehen. Das bewegt bis heute, wenn es gut gemacht wird.
Enttäuschender Tenor, glänzender Sopran, genialer Dirigent: Aber wird es hier gut gemacht? Die Aufnahme kann schon deswegen keinen ungetrübten Genuss bieten, weil die Dialoge hier so quälend ausführlich ausgebreitet werden, als handelte es sich um bedeutenden Text. Da hätte der Rotstift gutgetan.
Das Ganze ist eine Produktion vom Franz-Lehár-Festival in Bad Ischl, ein Operettenevent, das nicht nur Lehár-Operetten spielt, sondern auch andere Werke des Repertoires. Um ehrlich zu sein, ich habe lange Zeit diese Aufnahmen verflucht, denn was dies Festival im Repertoire hat, ist fast immer interessant, aber die Umsetzung wurde den Anforderungen der Partitur oftmals auf geradezu schockierende Weise nicht gerecht. Es war zuweilen, als würde man „Star Wars“ als Puppenspiel aufführen: Kleine Stimmen agieren in Musik mit großem Atem. Doch in den letzten Jahren bewegt sich da was! Ich habe das Gefühl, das könnte durchaus etwas zu tun haben mit dem Dirigenten Marius Burkert. Denn der ist richtig, richtig gut! Er hat das Franz-Lehár-Orchester in einen magischen Klangkörper verwandelt, und ich weiß, ich lehne mich jetzt weit aus dem Fenster, aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass dies der neue Franz Marszalek wird, wenn nicht schon ist. Also der neue Operettendirigent der Ära. Er kennt sich aus, er nimmt das Genre ernst, es ist ihm ein Riesenanliegen, diese Musik würdig und mit Glanz zu präsentieren, da steckt viel Liebe im Detail. Burkert dirigiert Operette nicht nur zum Spaß. Und grade deshalb macht es so ein Vergnügen, ihm und dem Orchester zuzuhören.
Leider bleiben trotzdem zum Teil noch schwer verdauliche Stimmen übrig, allen voran Tenor Jevgenij Taruntsov in der männlichen Hauptrolle, dem Grafen Stefan, der seine letzte Romanze eigentlich nur noch flüstert. Die mittlere Riege ist aber teilweise gut anzuhören: Und zum erstenmal hört man in dieser cpo-Serie eine ganz große Hoffnung, die junge Regina Riel. Sie legt hier wirklich eine fantastische Janka hin: feine Nuancen, tragende silbrige Stimme. Also Hopfen und Malz sind nicht verloren in der jungen Operettenszene! Burkert und Riehl, das ist eine Kombi, die sehr vielversprechend klingt. Ich hoffe, dass das Festival bei der Wahl solcher Persönlichkeiten nicht nur einen Zufallsgriff getan hat und demnächst vielleicht weitere Entdeckungen dieser Qualität zu bieten hat (Nico Dostal: „Die ungarische Hochzeit“, mit Jevgenij Taruntsov, Regina Riel, Thomas Zisterer u. a.; Franz-Lehár-Orchester, Marius Burkert; cpo 777974-2). Matthias Käther