.Der Star ist und bleibt das Orchester.
Ursprünglich hatte sich Richard Strauss gewünscht, dass sein letztes Bühnenwerk, das Konversationsstück für Musik Capriccio, in Salzburg erstmals gegeben werden sollte. Es kam anders. Die Uraufführung fand am 28. Oktober 1942 im Münchner Nationaltheater statt. Große Szenen wurden aufgenommen und später auf einer BASF-Schallplatte veröffentlicht. Viorica Ursuleac sang die Gräfin. Sie war die Frau des Dirigenten und Librettisten Clemens Krauss, der bei seiner Arbeit auf Vorstudien zurückgreifen konnte, die bis auf Stefan Zweig zurückgingen, der schon das Textbuch für Die schweigsame Frau geliefert hatte. Mit Capriccio sollte die künstlerische Zusammenarbeit mit Strauss fortgeführt werden. Dazu kam es nicht, weil der Schriftsteller 1934 vor den Nationalsozialisten ins Ausland flüchten musste, wo er noch vor der Premiere gemeinsam mit seiner Frau Lotte den Freitod wählte.
Strauss hatte Salzburg vor allen deshalb favorisiert, weil es das im Vergleich mit München intimere alte Festspielhaus für geeigneter hielt. Doch Salzburg kam erst 1950 zum Zuge als Karl Böhm eine Produktion von Rudolf Hartmann mit Lisa Della Casa in der Rolle der Gräfin und Paul Schöffler als Theaterdirektor La Roche leitete, die bisher nicht offiziell auf Tonträger gelangte. Dies war erst der nachfolgenden Inszenierung vergönnt, die Johannes Schaaf 1985 im einstigen Kleinen Festspielhaus besorgte. Sie blieb drei Sommer im Programm, kam bei der Wiederaufnahme 1990 auch ins Fernsehen – nun mit Theo Adam als Morosus – und ist auf YouTube zu finden. Bis auf das Jahr 1987, in dem Anna Tomowa-Sintow als Donna Anna im Don Giovanni unter Herbert von Karajan in Anspruch genommen gewesen war, sang sie durchgehend Gräfin besetzt. Lucia Popp übernahm nur vorrübergehend.
Die Premiere vom 7. August 1985 hat Orfeo nun im Rahmen seiner Festspieledition neu aufgelegt (C239152). Der Star ist und bleibt das Orchester. Horst Stein dirigiert die Wiener Philharmoniker und schafft nicht nur mit den großen orchestralen Passagen – Einleitung, Zwischenspiel und Mondscheinmusik – die Höhepunkte der Aufführung, hinter denen die sängerischen Leistungen etwas zurückstehen. Im bewegten Bühnengeschehen geht manches musikalische Detail unter. Der handlungstragende Streit über den Vorrang von Wort oder Musik in der Oper wird teils heftig ausgetragen. Warum hatte doch Strauss auf Salzburg als Ort der ersten Aufführung gepocht? „Weil ihm das gegenüber München intimere Salzburger Festspielhaus die besserer Wortverständlichkeit zu garantieren schien“, bringt der österreichische Musikjournalist Gottfried Kraus im Booklet in Erinnerung. Gut vierzig Jahre nach Fertigstellung des Werkes sollte dieser Rahmen keine Garantie für die Erwartungen des Komponisten, die sich im Studio am besten würden realisierten lassen, mehr sein. Auch die Gräfin von Anna Tomowa-Sintow, die in dem künstlerischen Wettbewerb entscheiden soll, ist bei ihrem ersten Erscheinen mit keinem Wort zu verstehen. Erst im großen Schlussmonolog, auf den alles hinaus läuft, und der zugleich alles offen lässt, gelangt sie zu großer Form und wurde, wie aus dem Booklet zu erfahren ist, auch von der Kritik einhellig gefeiert. Personifiziert ist die ästhetische Grundsatzdebatte des Werkes durch den Musiker Flamand (Eberhard Büchner) und den Dichter Olivier (Franz Grundheber), die beide die Gräfin auf ihre Weise umwerben. Sie, die „Streiter in Apoll“, müssen sich von Theaterdirektor La Roche die Leviten lesen lassen, der mit seinen kritischen Anmerkungen über das Theater als solches noch immer auffällig modern in Erscheinung tritt. „Ich will meine Bühne mit Menschen bevölkern„, lässt er sich vernehmen. Leider ist Manfred Jungwirth, damals Mitte sechzig, über seinen Zenit weit hinaus. Er hält in seiner berühmten Ansprache die Musik zu kurz, indem er sich zu oft in den Sprechgesang flüchtet. Der Bruder der Gräfin (Wolfgang Schöne), die von ihm favorisierte Schauspielerin Clairon (Trudeliese Schmidt), die italienischen Sänger (Adelina Scarabelli und Pietro Ballo) sowie der Souffleur Taupe (Anton de Ridder) verhelfen dem Theater auf dem Theater, das in diesem Konversationsstück für Musik eine zusätzliche Ebenen eröffnet, zu seiner Wirkung.
Mit dem Booklet scheint Orfeo umweltschonende Wege einzuschlagen. Im Vergleich mit der ersten Ausgabe von 1999 ist der Fotozuschnitt teils ein anderer. Leichter und schlichter wirkt das Papier. Der Satz ist auf einigen Seiten derart verrutscht, dass der Textrand wie angeschnitten wirkt. Ohnehin hat man den Eindruck, als sei der Druck unter sehr einfachen Bedingungen erfolgt. Rüdiger Winter