Ariadne auf Naxos, chronologisch gesehen die sechste Oper von Richard Strauss, war die letzte, die noch zur Zeit der alten Donaumonarchie entstand. Ihre Erstfassung als Abschluss einer Aufführung des Bürgers als Edelmann von Molière fand 1912 in Stuttgart statt; die Zweitfassung, bereichert um ein sogenanntes Vorspiel, welche sich durchsetzen sollte, wurde 1916, mitten im Ersten Weltkrieg also, an der Wiener Hofoper uraufgeführt. Hinsichtlich der Beliebtheit rangiert die Ariadne innerhalb der Strauss’schen Opern weit vorne. Die Diskographie ist ungemein reichhaltig und geht zurück bis ins Jahr 1913 (!). Maßstäbliche Einspielungen erfolgten u. a. unter Herbert von Karajan (EMI, 1954), Rudolf Kempe (EMI, 1968) und James Levine (DG, 1986). Orfeo legt nun einen Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper vom Oktober 2014 unter Christian Thielemann auf CD vor (Orfeo C996202). Die Produktion wird zudem auf DVD und Blu-ray erscheinen (Regie: Sven-Eric Bechtolf).
Es handelt sich keineswegs um Thielemanns erste Beschäftigung mit dieser kammermusikalisch angelegten Oper. Bereits 2012 wurde eine Inszenierung von Brian Large aus dem Festspielhaus Baden-Baden mitgeschnitten und als DVD aufgelegt (Decca). Interessanterweise übernahm die auch in Wien mitwirkende Sopranistin Sophie Koch bereits damals die Rolle des Komponisten. Ansonsten wurde in Wien sängerisch aufgeboten, was seinerzeit möglich war. Die international gefeierte finnische Sopranistin Soile Isokoski verkörpert neben der Titelrolle die Primadonna, der allzu früh verstorbene Johann Botha ist als als Tenor und Bacchus zu hören. Als Zerbinetta wurde Daniela Fally eingesetzt. Daneben hört man u. a. Jochen Schmeckenbecher als Musiklehrer, Norbert Ernst als Tanzmeister und den unverkennbaren Peter Matic, leider auch schon verschieden, in der Sprechrolle des Haushofmeisters.
Als Thielemann im Oktober 2014 fünf Aufführungen der Ariadne an der Staatsoper in Wien übernahm, war dies seine erste szenische Strauss-Oper im Haus am Ring, dem Ort der Erstaufführung der zweiten Fassung. Zuvor hatte er dort vor allen Dingen als Wagner-Interpret für Furore gesorgt. Tatsächlich wurde seine Rückkehr als sensationell gefeiert und – heutzutage überhaupt nicht mehr selbstverständlich – auch die Inszenierung von Bechtolf mit viel Lob bedacht. In sängerischer Hinsicht verwöhnt diese Produktion durchaus. Die Reduzierung auf die Tonspur beweist, dass die Aufnahme auch ohne Bild keine Vergleiche mit den großen Interpretationen der Vergangenheit zu scheuen braucht. Thielemann liegt dieses Werk, das den Gegensatz zwischen großer heroischer Oper auf der einen und profaner Komödie auf der anderen Seite zum Thema hat. Neben der damaligen Gegenwart des ausklingenden Fin de siècle kommen zwei weitere zeitliche Ebenen, die Barockära Molières sowie der antike Ariadne-Stoff, zum Tragen, die ja bereits die größten Opernerfolge von Richard Strauss dominierten (das Barockzeitalter im Rosenkavlier, die Antike sowohl in Salome als auch in Elektra). Zwischen dem leichten Vorspiel im Parlando-Stil der Opera buffa und dem deutlich pathetischeren Stil des eigentlichen Opernaktes á la Opera seria besteht ein merklicher, von Strauss intendierter Unterschied. So konnte er gleichsam beide Formen des älteren Operntypus in aktualisierter Form abbilden, ohne es freilich zur reinen Kopie verkommen zu lassen. So gibt es zwar Anlehnungen an ältere Kompositionen von Mozart, Schubert und den Belcanto, doch keine Direktzitate. Eine Neueinspielung, die der Diskographie eine weitere Facette hinzufügt. Daniel Hauser