Aufgewärmt

 

Der Liedersänger Dietrich Fischer-Dieskau hat sich bis zum Ende seiner Karriere im Jahre 1992 die Neugierde bewahrt. Obwohl Franz Schubert wie ein Fels im Zentrum seines Wirkens stand, stellte er sich immer wieder neuen Herausforderungen. Ein Album, das jetzt bei Orfeo herausgekommen ist, legt Zeugnis davon ab: Orchesterlieder von Hugo Wolf und Max Reger (MP1902), jeweils eine CD pro Komponist. Bei Wolf wird er vom Münchner Rundfunkorchester unter Stefan Soltész begleitet, bei Reger (1989) vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Gerd Albrecht. Es handelt sich um Produktionen des Bayerischen und des Norddeutschen Rundfunks, die 1990 (Wolf) und 1989 (Reger) entstanden – für Fischer-Dieskau eine Art Abgesang. Zunächst waren die Lieder von Orfeo einzeln veröffentlicht worden. In der Kombination können Vergleiche angestellt und Gemeinsamkeiten aufgespürt werden. Der 1860 geborene Hugo Wolf und sein dreizehn Jahre jüngerer Kollege waren schließlich Zeitgenossen. Reger hat sich intensiv mit Wolf beschäftigt und sich selbst mit dem „verkannten Genie“ identifiziert, wie Susanne Popp in ihrer Reger-Biographie „Werk statt Leben“ feststellt. Einen Berührungspunkt zwischen beiden Komponisten gibt das Album bei „Sterb‘ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“ aus dem Italienischen Liederbuch her, das von Reger instrumentiert wurde.

Während dieser die Orchesterfassungen seiner Stücke selbst schuf, liegen bei Wolf die Dinge oft anders. Eines seiner bekanntesten Lieder, „Fußreise“ nach Mörike, bearbeitete Günter Raphael (1903-1960), der im Musikbetrieb noch immer nicht die Wertschätzung erfährt, die ihm zusteht. Er hinterließ ein umfängliches Werk aus Sinfonien, Konzerten, Kammermusiken, Kantaten, Liedern und Orgelstücken. Als so genannter Halbjude von den Nationalsozialisten verfolgt und seiner Ämter enthoben, durfte Raphael – inzwischen schwer krank – erst nach 1945 wieder unterrichten. Thomaskantor Karl Straube hatte ihn einst als seinen Nachfolger auserkoren. Seine Instrumentierung betont den ausgesprochen lyrischen Charakter des Liedes noch zusätzlich, und dem fünfundsechzigjährigen Interpreten scheint es ein Leichtes, diesen Ton fast schwelgerisch aufzunehmen. Dabei ist er noch immer in seinem Element. Hochdramatische Ausbrüche in „Prometheus“ oder in „Der Freund“ gelingen nicht ganz mehr so gut wie in jüngeren Jahren. Der finnische Bassist Kim Borg, der sich auch komponierend betätigte, versah die „Drei Michelangelo-Lieder“ mit Orchester. Dadurch wird deren Strenge und Modernität allerdings etwas gemildert.

Orchestral Songs also! Auf die Reger-Auswahl trifft der Titel des Albums eigentlich nicht zu. Bei „Der Einsiedler“, „Hymnus der Liebe“, „An die Hoffnung“ – alle um die 13 Minuten lang – und dem „Requiem“ (16 Minuten) handelt es sich denn doch mehr um kantatenähnliche Gesänge, zumal im ersten und im letzten Stück noch ein Chor (St. Michaelis-Chor und Monteverdi-Chor Hamburg) hinzutritt. Rainer Aschemeier, der Autor des Booklet-Textes, findet – und das zu recht – nicht nur für den Säger, sondern auch für den Dirigenten Albrecht eine durchweg positives Urteil: „Das Ergebnis ist eine künstlerische Symbiose höchsten Ranges, die von einer Leidenschaft und Innigkeit zeugt, wie man sie nicht mehr häufig findet: Ein wahres Tondokument!“ Das Album erinnert Sammler und Verehrer von Dietrich Fischer-Dieskau daran, dass er auch Orchesterlieder von Hans Pfitzner für EMI/Electrola eingespielt hat. Erstmals veröffentlicht wurde die Platte 1979. Darauf finden sich so seltene Titel wie die Ballade „Herr Oluf“, die auch Carl Loewe meisterhaft in Töne setzte. Aus der Oper Der arme Heinrich singt Fischer-Dieskau die Erzählung des Dietrich. Begleitet wird er vom Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch. Eine CD-Übernahme habe ich nicht gefunden, nur eine Download-Version von Warner. Rüdiger Winter