Strenges Glück

 

Es war wohl die Sorge um die Kunstgattung, die ihm am meisten am Herzen gelegen hat und in der er Unvergleichliches geleistet hat, die den greisen Dietrich Fischer-Dieskau ein Manuskript mit dem Titel Das deutsche Klavierlied zur Berlin University Press senden ließ. Das Buch ist chronologisch und nach einzelnen Komponisten, die sich besonders um das Lied verdient gemacht haben, gegliedert. Es beginnt mit Reichardt und Zelter, dazu Goethe, der einer der ersten Dichter war, die besonders sangbare Texte schrieben. Goethe wie Herder waren der Meinung, dass Gedichte erst durch ihre Vertonung ihre volle Wirkung entfalten könnten. Erst das teilweise Zurückdrängen von opera seria und opera buffa ließ das Lied Fuß fassen, so die Vertonungen von deutschen Texten durch Joseph Haydn, der sich darüber beklagte, dass die deutschen Schriftsteller nicht musikalisch genug dichteten. Natürlich stehen Schubert und Schumann im Mittelpunkt des Bandes, die Bedeutung des Liedes in ihrem Gesamtschaffen, ihre jeweilige Entwicklung, die unterschiedlichen Merkmale ihres Komponierens, die von ihnen eingesetzten musikalischen Mittel. Bei Schubert wird auf die „hellsichtige Naivität“ hingewiesen, bei Schumann auf die ständige Beschäftigung mit dem Tod. Carl Loewe erfährt eine teilweise Rehabilitierung, Brahms hat eine solche nicht nötig, auch wenn Klemperer einen reinen Brahms-Abend als „unnötig“ ansah. Mehr Dramatik als seine Vorgänger vertrage der Komponist durchaus. Manchmal schwingen, fast unmerkbar, Enttäuschung und eine gewisse Rechthaberei in einigen wenigen Passagen mit. Wenn heute die Gattung Lied nicht viel Neues, aber Bleibendes vorzuweisen hat, liegt das nach Fischer-Dieskau auch daran, dass es um die zeitgemäße Lyrik zumindest insofern schlecht bestellt ist, als sie kaum Sangbares, dafür viel Abstraktes vorweisen kann. Und Singen ist halt „nicht nur eine Sache des Kopfes“(ISBN 978-3-86280-021-6).

Ingo kern