Wahrscheinlich schon viel Geld, das er vielleicht ansonsten zum Psychiater hätte tragen müssen, hat Bernd Weikl gespart, indem er sich regelmäßig seinen Frust von der Seele schreibt, sei es über das Regietheater, die Mutter im besonderen oder die Kulturpolitik im allgemeinen. Als letztes Werk ist ein schmales Bändchen von ca. sechzig Seiten erschienen, das gleich einige der Ärgernisse aufs Korn nimmt, darunter den European oder auch German Trash, dessen Verkörperung in der Tannhäuser-Produktion der Oper am Rhein sogar zu einer Strafanzeige des berühmten Baritons führte. Diese blieb allerdings folgenlos, da für die Staatsanwaltschaft die zu Ohnmachtsanfällen im Publikum führende Inszenierung unter „Freiheit der Kunst“ fungierte, nicht zuletzt deswegen, weil der Künstler selbst nicht von einem solchen betroffen, also direkt geschädigt worden war. Weikl führt als Beispiele für Ekel erregende Regie noch weitere Aufführungen an, auch der seinen ähnliche Meinungen von Kollegen kommen zu Wort. Angst bekommen kann man, wenn die Parallele zwischen Dekadenz und Untergang des Römischen Weltreichs und dem, was sich auf deutschen Bühnen abspielt, tatsächlich eine tragfähige Behauptung sein sollte.
Der streitbare Sänger setzt sich auch in immerhin zehn Punkten mit der allerdings zweifelhaften Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über seinen Vortrag vor CSU-Mitgliedern auseinander, weist eine Aussage des für Kultur zuständigen Ministers zurück, wonach unsere „jüngste Vergangenheit“ von uns erwarten lassen müsse, nicht wie andere Länder einheimische Künstler besonders bei Engagements zu berücksichtigen. Beginnt man mit Kopfrechnen, so ist die gemeinte nach siebzig Jahren Demokratie wohl nicht mehr die allerjüngste Vergangenheit und die Frage auf jeden Fall berechtigt, warum deutsche Sänger in jeder Hinsicht, seien es Wettbewerbe oder Engagements, relativ schlecht abschneiden. In dieser Frage dürfte allerdings mit Sängern wie Damrau, Harteros oder Kaufmann bereits eine Wende eingetreten sein.
Auch bei der Zurückweisung des Vorwurfs, er sei generell gegen moderne Musik, beruft sich Weikl auf einen berühmten Kollegen, wenn er Domingo zitiert und dessen Meinung, selbst mit der Zeit werde sich der Klassikhörer nicht an atonale Musik gewöhnen.
Der Text gliedert sich in die drei Teile „Freiheit der Kunst“, „Freiheit des Künstlers“ und „Freiheit des Wortes“. Er beginnt mit einem Zitat von András Schiff, der sich über „Selbstdarstellung, Wichtigtuerei und Respektlosigkeit“ auf deutschen Bühnen beklagt. Weikl selbst sieht eine unerhörte Diskrepanz zwischen dem Bildungsauftrag des Staats und dem, was weitgehend staatlich subventionierte Bühnen produzieren. An anderer Stelle verteidigt er das Recht des Zuschauers auf Vergnügen und Erbauung in der Oper und das des Sängers, den Zuschauer zu erfreuen und selbst optimale Bedingungen für die Ausübung seiner Kunst vorzufinden, was ersteres moderne Regie gerade verhindern will und letzteres nicht garantieren kann, da Regisseure in Bezug auf Noten und Sängerbedürfnisse häufig Ignoranten sind. Der Sänger dürfte nicht der einzige Leser des Buches „Warum Oper?“ gewesen sein, der sich über Ignoranz und Arroganz mancher Aussage empörte.
Des Nachdenkens wert ist die Behauptung Weikls, dass zwar allgemein die Verrohung des Zuschauers durch Gewalttaten im Fernsehprogramm beklagt werde, dies aber nicht auf die Oper zutreffen solle. Allerdings kann man einwenden, dass der Opernbesucher, sollte er aggressiv aus dem Kulturinstitut nach einer Aufführung entlassen werden, diese Aggression kaum ausleben dürfte. Ein Rückzug aus dem „Kulturleben“ dürfte wahrscheinlicher sein als der Griff nach der Axt. Der Ruf nach JEKI ( jedem Kind ein Instrument) und JEKISOSI (jedes Kind soll singen) dürfte nun bei den vielen anderen Problemen, denen sich Deutschland gegenüber sieht, erst recht ungehört verhallen, was angesichts der heilsamen Wirkung von beidem auf Körper und Seele schade ist.
Zum Abschluss kommt Weikl noch einmal zum bereits mehrfach angeschnittenen Thema „Wagners Antisemitismus“ zurück, auf die Frage, ob Antisemitisches auch in den Opern zu bemerken sei und führt als Gegenargument gegen eine solche mögliche Behauptung die Dissertation des Israelis Irad Atir an, der sogar den Antisemitismus Wagners in seinen theoretischen Schriften milde, weil relativierend betrachtet. Ob es Wagner allerdings gefallen hätte, dass Weikl ihm nachweisen will, er habe viele seiner Motive von Mendelssohn abgekupfert, ist eine andere Frage (Foto oben: wagnerfesttage.com/ Leipziger Universitätsverlag 2015; IBN 978-3-86583-984-8). Ingrid Wanja