Requiem für die Oper?

Ebenso gut wie Opernschule könnte sich Michael Hampes Buch auch Requiem für die Oper nennen, denn neben vielen sicherlich für Sänger und Regisseure nützlichen Ratschlägen liefert das Buch einen Abgesang auf die Oper als Kunstwerk, das Schönheit und große Gefühle in die trübe Alltagswelt ihrer Besucher bringt. Dabei scheint es dem Verfasser aber schwer gefallen zu sein, einen knapp 200 Seiten umfassenden Band mit durchweg neuem Material zu füllen, denn was am Ende jedes Kapitels als „nützliche Regeln“ besonders im Gedächtnis des Leser haften bleiben soll, wird zur Gänze noch einmal am Ende des Buches wiederholt. Zudem werden die einzelnen Kapitel im zweiten Teil inhaltlich identisch noch einmal in Form eines Spiels mit verteilten Rollen geboten, so dass eigentlich der Leser alle Informationen bereits dann erhalten hat, wenn er das Werk zur Hälfte gelesen hat.

hampe opernschule böhlauDer Verlag verspricht Lesestoff, der „lehrreich“, „pointiert“ und „unterhaltsam“ sein soll. Lernen kann man durchaus, so was Oper eigentlich ist, wie man sich auf der Bühne zu positionieren hat, welche sechs Fragen man stellen sollte, ehe man sich zur Interpretation einer Bühnenfigur entscheidet und vieles andere mehr. Pointiert geht es vor allem dann zu, wenn es um „den Dilettantismus in der Opernregie“ geht, und unterhaltsam wird es besonders dann, wenn der Autor von persönlichen Erfahrungen zu berichten weiß, so mit dem großen, aber auch schwierigen Bariton Tito Gobbi, dessen Gattin meinte, er  könne dem Regisseur Hampe bedingungslos vertrauen.

Anzustreben ist, so verkündet das Buch, die „Wahrheit des Herzens“ auf die Bühne zu bringen. In mal betulich altväterlichem, mal humorvollem Stil (Entsetzen der Schwarzkopf über Sex in Così fan tutte) werden aber auch praktische Ratschläge in anschaulicher Weise erteilt, so wenn von der Drittelung der Bühne, vom „Panther-Tiger-Gang“ oder von „The Tenor’s Turn“ die Rede ist. Eine „musikalische Bewegungslehre“ könnte vielen Sängern helfen, auf der Bühne eine überzeugendere Figur abzugeben.  Davon habe, wie von so vielem Unverzichtbaren, die moderne Regie durch Dilettanten keine Ahnung, wenn sie Bewegungen „gegen die Musik“ von den dadurch benachteiligten Sängern fordert. Grundsätzlich müsse das Gefühl größer sein als die Geste, mit der es ausgedrückt wird. Eine „Bewegungspartitur“ könnte an die Seite der eigentlichen Partitur treten. Vieles leuchtet ein, so die Überzeugung, dass „Bequemlichkeit der Feind des Ausdrucks“ sei, Hindernisse den Ausdruck steigern können oder das „Beteuerungstheater“ der Feind jeder Natürlichkeit sei. Der lernende Leser kann viel erfahren über die Wichtigkeit des Auftakts, Karajans „Trizophrenie“ oder die Forderung nach „masticare le parole“.

Eine große Rolle spielt Mozart in diesem Buch, das immer wieder aus seinen Opern Beispiele für die Thesen des Autors anführt und ihm zuschreibt, dass mit ihm die „Emanzipierung des Orchesters“ begonnen  hat. Aus diesem Kapitel kann man wertvolles Wissen um die Wichtigkeit der Rezitative schöpfen, die so oft als lästig und kürzungswürdig angesehen werden. Praktische Ratschläge gibt es auch für den schwierigen Übergang vom Rezitativ zur Arie, aufgeräumt wird mit dem Irrtum, Kaiser Joseph II. habe sich mit seiner Bemerkung über die vielen Noten in der Entführung als unmusikalischer Mensch enttarnt.

Immer wieder kommt der Verfasser auf das Thema zurück, dass ihm sichtlich nicht nur am Herzen, sondern auch schwer auf dem Magen liegt: moderne Regie, deren Vertreter auch als „Musikterroristen“ bezeichnet werden.  Damit spricht er sicherlich vielen Opernbesuchern aus dem Herzen, besonders auch wenn er meint, man müsse „zeitgenössisch lesen und werkgerecht interpretieren“. Ein weiterer Stein des Anstoßes, den fast alle Opernkomponisten als solchen angesehen haben, ist der „Apparat“, der aber letztendlich der Oper als „mehrdimensionaler Kunst“ nicht den Garaus machen kann. Kühne Gedanken finden sich in den Auslassungen über die Geschichte der Gattung, deren Geburtsstunde mit der Entdeckung des Universums zusammenhing und die sich nun mit  dem Wissen um das Multiversum auseinander zu setzen hat.

Ein besonderes Kapitel ist den Lehrern und Vorbildern Michael Hampes gewidmet: Max Reinhardt, Louis Krasner, Joseph Offenbach (der Schauspieler), Fritz Kortner, Leopold Lindtberg, Caspar Neher, Walter Felsenstein, Giorgio Strehler, Friedrich Dürrenmatt, Jean-Louis Barrault.. Dem Leser wird nicht vorenthalten, worin die Vorbildfunktion der jeweiligen Persönlichkeit bestand. Vor allem war Hampes Bestreben die Verbindung des „strengen Realismus“ von Felsenstein mit der „formalen Eleganz“ Strehlers. Das Buch lässt besonders den Leser nachdenklich und traurig zurück, der viele der hier geäußerten Meinungen teilt, sich aber auch eingestehen muss, dass der Autor damit auf verlorenem Posten steht (Böhlau Verlag 2015 ISBN 978 3 412 22500 1).

Ingrid Wanja