Wenige Tage vor Weihnachten 2017 erschien das neue Buch von Ileana Cotrubas und ihres Mannes Manfred Ramin mit dem Titel „Die manipulierte Oper“ über die Unarten des Regietheaters, in dem die Verfasser vorschlagen, Oper lieber ganz ohne Bühnenbild als mit die Stücke entstellenden aufzuführen. An Heiligabend wurde die Bühne der Deutschen Oper Berlin durch die Sprinkleranlage unter Wasser gesetzt, was bis heute dazu führt, dass nur noch halbszenische Aufführungen mit eingeschränkten Bühnenbildern stattfinden können. Das soll zum Beispiel bei Meyerbeers Propheten zu einer bedeutenden Verschönerung der Produktion geführt haben, so dass sich die Frage aufdrängt: Zufall oder Absicht? Erhebt die Konterrevolution gegen das „Regisseurstheater“, wie die Verfasser das Phänomen benennen möchten, das Haupt? Und kann es ein Zufall sein, das nach den von den Autoren gerühmten Brook mit seiner Carmen-Version und Meese mit seiner Parsifal-Oper nun auch die Neuköllner Oper zur bekannten Musik von Humperdincks Hänsel und Gretel ein Musikwerk aufführen wird, das Wolfskinder heißt und sich mit dem Schicksal der deutschen Kindern befasst, die nach dem 2. Weltkrieg, aus Königsberg und dem restlichen Ostpreußen stammend, in den Wäldern umherirrten und die Flucht über die Memel versuchten?
Ileana Cotrubas ist nicht eine nur schriftlich bekennende Feindin des Regietheaters, sondern hat sich bereits in ihrer aktiven Sängerinnenzeit gegen Zumutungen in einer Bohéme, Don Carlos oder Traviata zur Wehr gesetzt. Das Buch beginnt mit vielen Fragen u.a. nach der Schuld, die die einzelnen Berufsgruppen, die mit Oper zu tun haben, an deren Entstellung durch die Regie haben, und begnügt sich nicht damit, mit dem Finger auf die Regisseure allein zu zeigen, sondern sieht Operndirektoren, das Feuilleton und Kulturpolitiker ebenfalls auf der Anklagebank, streift nur relativ kurz die Dirigenten, die ihre Entmachtung bei der Entscheidung über die Optik einer Inszenierung mit fadenscheinigen Ausflüchten geradezu zu genießen scheinen. Den Sängern wird verziehen, dass sie jeden Blödsinn mitmachen, denn nur eine Anna Netrebko wie unlängst bei der Manon in München unter Neuenfels kann es sich leisten, sich Regisseurswillen zu widersetzen. Am Werdegang einer fiktiven Mimi-Sängerin machen die Autoren deutlich, dass jeder Widerstand ein frühzeitiges Ende der Karriere bedeuten würde. Das Publikum hingegen wird nach Meinung der Verfasser gar nicht erst befragt, sondern darf höchstens bei der Premiere seinen Unmut äußern. Das Erscheinen des jeweiligen Abendspielleiters in den Folgevorstellungen mit einem Schild, auf dem die Namen von Regisseur, Bühnenbildner und Kostümbildner deutlich zu lesen sind, könnte der Stimme des größtenteils Regieeskapaden müde gewordenen Auditoriums mehr Gewicht verleihen.
Die Rechtfertigung der Regie für Eingriffe in die Optik der Stücke, insbesondere für ihre Aktualisierung, werden von den Verfassern zurückgewiesen, so die Behauptung, dadurch würden sie für die heutige Generation besser verständlich und zudem attraktiver. Stattdessen führen sie Beispiele dafür auf, wie lächerlich manche Verhaltensweisen der Opernfiguren erscheinen, wenn man diese in die moderne Zeit versetzt (2. Akt, 1. Szene Traviata). Auch dem jungen Zuschauer, der im Kino willig jede Art von Zeitreisen unternimmt, könne man einiges an Phantasie und Denkvermögen zusprechen.
Die Verfasser haben fleißig Beispiele für lächerliche Einfälle von Regisseuren gesammelt und geben den Dirigenten, die diese duldeten, eine Mitschuld an der Umsetzung auf der Bühne, beschreiben aber auch Eingriffe von Dirigenten wie die von Harnoncourt in die Partitur durch eine nicht nachvollziehbare Aufführungspraxis. Die Hauptzielscheibe bleiben jedoch, und da gibt es einiges an Wiederholungen, das Feuilleton und die Regisseure. Ersteres hat durch die skurrilen Ideen der Regie viel Stoff zum Schreiben, kann sich auch als auf der Höhe der Zeit stehend begreifen und ist so bereit, in jedem Unsinn einen Sinn zu erkennen.
Nach Meinung von Cotrubas-Ramin wird das „Regisseurstheater“ zunehmend vom Regietheater light abgelöst, in dem nur noch einzelne Überbleibsel wie das Volleyballspiel in Fidelio oder Drogenspritzen und Koffer wenig verstören können. Das unterscheide sich von dem Wirken der „Konzept“-Regisseure, dem zum Beispiel die Münchner Rusalka mit ihrer Anlehnung an ein aktuelles Verbrechen zugerechnet wird. Da aber ohne die Musik diese Aufführungen auf keinerlei Interesse stoßen würden, bezeichnen die Autoren sie als „Parasitenkunst“.
Cotrubas und Ramin weisen es weit von sich, zu alten Aufführungspraktiken wie vor den Reformen durch Wieland Wagner zurückkehren zu wollen, lehnen Pracht und Prunk auf der Bühne ab und verlangen lediglich, dass die Intentionen, die in der Partitur stehen, nicht buchstäblich, aber sinngemäß realisiert werden. Zu Recht ergießt sich ihr Hohn und Spott über Inszenierungen, die seitenlang in Programmheften und Interviews erläutert werden müssen, über den übermäßigen Einsatz von Videoprojektionen, von pantomimischen Spielchen zur Ouvertüre und dem Hinzuerfinden weiteren Personals, so der Verdoppelung von Personen. Da wäre dann der richtige Zeitpunkt gekommen, um ein Werk als „Szenisch manipulierte Aufführung der Oper“ anzukündigen.
Zu bezweifeln ist, dass der Vorschlag, Bühnenbildwettbewerbe auszuschreiben, eine Zukunft hat, ebenso bleibt wohl Utopie, dass man Verträge mit dem Zusatz „Die Partitur mit allen Anweisungen ist Bestandteil dieses Vertrages“ mit Regisseuren abschließen wird, und so wird es wohl bei der traurigen Erkenntnis bleiben:“Intellekt hält die Oper umklammert.“
Der größte Vorzug des Buches ist die Leidenschaft, mit der für die Gattung Oper gekämpft wird, sein größter Nachteil, dass dies in humorfreier und oft sich wiederholender Form geschieht. Aber: Die Musik ist so stark, dass sie jede Regie überleben wird! (Wien 2017, Verlag Der Apfel; ISBN 978 3 85450 118 3). Ingrid Wanja