Oper und Film

 

Sympathische Bescheidenheit ziert das Buch Oper und Film, das ein gutes Jahr nach dem Symposium gleichen Namens an der Deutschen Oper erschienen ist und mit dem Untertitel Geschichten einer Beziehung andeuten will, dass nichts Allumfassendes und Endgültiges zum Thema gesagt werden sollte und konnte. Anlass war die höchst erfolgreiche Aufführung von Erich Korngolds Das Wunder der Heliane an der Deutschen Oper Berlin, eines Musikers, der zugleich Opern- und Filmkomponist war, oder besser gesagt nacheinander, dessen Opernmusik man die Nähe zu der des Films, dessen Filmmusik die zur Oper nachsagte.  Arne Stollberg, Stephan Ahrens, Jörg Königsdorf und Stefan Willer sind für das Buch verantwortlich und enthüllen im Vorwort, dass bei seinem Erscheinen auf der Bühne der Kultur der Film bezeichnenderweise als Bedrohung für die Oper empfunden wurde.

Es gibt zehn Artikel über unterschiedliche Facetten des Themas, wovon sechs sich mit Opernhaftem im Film und vier mit Kinohaftem in der Oper befassen. Der Video-Regisseur von „Das Wunder der Heliane“ äußert sich zudem über seine Arbeit, in einer abschließenden Diskussionsrunde sprechen Filmschaffende wie der Opern Verbundene zum Thema. Es fällt auf, dass die Beiträge desto konkreter, nachvollziehbarer und dem gemeinen Opernliebhaber zugänglicher werden, je mehr der Verfasser bzw. Diskussionsteilnehmer praktische Arbeit am Sujet, sei es Film oder sei es Oper, geleistet hat, während die rein theoretisch mit beiden Gattung Befassten eher schwer zugängliche, sehr im Abstrakten, Soziologischen, Gesellschaftswissenschaftlichen verhaftete Beiträge leisten und ihre Texte eher die Gefahr laufen,  recht unverdaulich zu bleiben.

Als Beispiel für einen sehr gelungenen, nachvollziehbaren Beitrag kann der von Volker Schlöndorff über seine Zusammenarbeit mit Hans Werner Henze, beginnend mit dessen Musik zu „Die Leiden des jungen Törleß“ oder besser Der junge Törleß gelten. Da bleiben die Ausführungen nicht nur ein dürres Knochengerüst des Abstrakten, sondern gewinnen durch die treffenden Beispiele Fleisch und Blut.

Es beginnt mit Janina Müllers Artikel „Das Opernhafte im Film- eine intermediale Spurensuche“, der die Autorin zur Erkenntnis führt, dass es drei Formen desselben gibt: die reproduzierende, die imitierende und die simulierende  Systemerwähnung. Zu allen werden Beispiele angeführt, so Cavalleria Rusticana in der Godfather Trilogie.

Volker Mertens schreibt über Puccini und sein Verhältnis zum Film, spürt Filmhaftes in Tosca oder Fanciulla auf, wobei natürlich zu bedenken ist, dass beide Opern auf literarischen Vorlagen aufbauen, über die sich eventuell bereits Gleiches sagen ließe.

Norbert Abels‘ „Die Fernsehoper“ betrachtet die nur etwa fünfzig Jahre überdauernde  Gattung vor allem mit dem Blick auf die USA, sieht einen wesentlichen Unterschied in der Nähe der Fernsehoper im Vergleich zur Distanz der im Opernhaus genossenen.

Uta Felten befasst sich mit Peter Sellars‘ Mozart-Inszenierungen, die er nicht wie Bondy für den Bildungsbürger, sondern für ein Fernsehpublikum gemacht haben dürfte. Immacolata Amodeo erklärt etwas zugespitzt, dass Fellini-Filme die italienischen Opern des zwanzigsten Jahrhunderts seien, melodrammatico, also opernhaft. „E la nave va“ wird als Beispiel angeführt, in dem das Opernhafte zum Strukturprinzip geworden sei. Sie wie auch einige der anderen Verfasser zitiert gern Adorno, der Artikel selbst aber liest sich weit besser als Texte des Angeführten.

Dirk Naguschewski geht es um afrikanische Carmen-Adaptionen, von denen es immerhin zwei, aus Senegal und Südafrika, innerhalb der insgesamt gut hundert gibt. Natürlich darf der Hinweis auf Nietzsche, der meinte, die Musik zu Carmen habe etwas Afrikanisches, nicht fehlen. Panja Mücke schreibt über den Film „Der Rosenkavalier“, für den Strauss selbst tätig wurde, der in ihm nicht eine Konkurrenz, sondern eher Werbung für seine Oper sah , auch wenn in ihm die Musik nur Illustration blieb. Der zweite Teil des Artikels ist Kurt Weill gewidmet, der seine einaktige Oper durch einen Film in zwei Hälften teilte.

Arne Stollberg widmet sich, und damit kommt das Buch zum Anlass für sein Entstehen, dem Komponisten Korngold, der nach 1945 als Opernkomponist nicht mehr für voll genommen wurde,  obwohl nach Meinung des Verfassers nicht „Die tote Stadt“ bereits Filmmusik war, sondern durch Korngold in die Kinosäle Opernmusik geführt wurde. Interessant ist, dass Humperdinck keinen Image-Schaden durch gleiches Tun erlitt. Auch Stephan Ahrens befasst sich mit Korngold, mit seiner Meinung, Filmmusik sei eine neue Kunstform, gleichwertig mit den bereits vorhandenen Gattungen, mit seiner Weigerung, wahrzunehmen, dass die Musik am weitesten entfernt ist von der Realität, der Film ihr am nächsten ist. Anhand von Beispielen wird klar, dass bei Korngold Bild und Ton gleichermaßen um Aufmerksamkeit kämpfen, Musik nicht nur illustriert oder unterstreicht.

David Roesner geht es in seinem Beitrag nicht um den weit verbreiteten Einsatz von Videos in Operninszenierungen, sondern, am Beispiel von Nonos „Al gran sole carico d’amore“  in der Regie von Katie Mitchell um den Film im Zentrum der Inszenierung, als integraler Bestandteil bereits bei der Entstehung. Es werden auch andere Beispiele dafür angeführt.

Götz Filenius betreute die Aufzeichnung der Berliner Produktion  und schildert im Gespräch mit Jörg Königsdorf so klar und verständlich wie sympathisch diese Arbeit.

In der abschließenden Podiumsdiskussion äußerte sich auch der Regisseur von „Wolfsschlucht“, jüngst uraufgeführt in der Tischlerei der Deutschen Oper  und irritiert mit dem Ausspruch: „Meine Wirklichkeit, das ist es, was ich erzählen kann“. Addio fantasia! Kurze Vitae der Autoren und ein Personenregister vervollständigen das Buch (255 Seiten, 2019  Verlag edition text + kritik; ISBN 978 3 86916 707 7; Abbildung oben Theaterzettel Wien 1927/ Theatermuseum Wien). Ingrid Wanja