Bereits über eine stattliche Bibliothek kann sich freuen, wer alle Ausgaben der Reihe Opernführer kompakt besitzt – und auf eine faktenreiche und höchst interessante dazu. Die letzte Ausgabe ist Wagners Parsifal gewidmet, die von Volker Mertens verfasst wurde. Wie bei dieser Reihe üblich, begnügt sich der Verfasser nicht mit einer Inhaltsangabe, der Entstehungs- und Aufführungsgeschichte und einer musikalischen Analyse, sondern offeriert dem Leser wesentlich mehr, wegen der geheimnisvollen Aura, die das Werk umgibt, auch noch über die bisherigen Opernführer hinausgehende Gedanken.
Bereits im Vorwort wird auf die Besonderheit des Parsifal in der Geschichte der Oper hingewiesen, auf die Verführung durch die Musik und die Befremdung durch die Optik, die sich beim Opernbesucher oft einstellen.
Der Autor schildert anschaulich den „lebenslangen Weg“ Wagners zum in einer Entstehungsgeschichte mit vielen interessanten, nicht durchweg gängigen Details. Eine ausführliche Tabelle, die allgemein historische den Lebensdaten Wagners gegenüberstellt, sorgt für Übersichtlichkeit, in aus dem Text herausgehobenen Kästchen wird aufschlussreich zitiert.
Es folgt eine Stoff- und Werkgeschichte mit Hinweisen auf Wolfram von Eschenbach, das Alexanderlied, Chrétiens de Troyes sowie buddhistische wie hinduistische Quellen. Sehr ausführlich wird die Handlung einschließlich der Vorgeschichte nacherzählt , wird der Frage, was „Erlösung dem Erlöser“ meint, nachgegangen. Wie auch in den vorangegangenen Büchern gibt es eine Graphik der Figurenkonstellationen.
Der musikalisch-dramaturgischen Gestaltung ist ein weiteres Kapitel gewidmet, den Leitmotiven als Wegweiser, der Tatsache, dass es mehr um eine innere Entwicklung als äußere Handlung geht. In Notenbeispielen werden die hauptsächlichen Themen erläutert. Es werden „Steckbriefe“ der Personen erstellt, und es gibt Fotos berühmter Inszenierungen von der Uraufführung bis zum Parsifal der Berliner Staatsoper aus dem Jahre 2015.
Besonders interessant ist das Kapitel über die Probleme, die das Werk in vielerlei Weise bereiten kann, um die Frage nach den Absichten Wagners, die Bedeutung des Bergriffs „Bühnenweihspiel“, die Frage, was der Gral eigentlich und ob Parsifal christlich, sexistisch, antisemitisch sei.
Die akustischen Besonderheiten des golfo mistico von Bayreuth spielen eine Rolle und die Beschaffenheit der Gralsglocken. Charakteristika einzelner Inszenierungen seit der Uraufführung werden beschrieben und bewertet bis hin zu Jonathan Meese, der aus bekannten Gründen nicht zum Zuge kam.
Eine Diskographie gibt Hinweise für den Ratsuchenden, Knappertsbusch und Boulez und Sänger, deren Interpretation Epoche machten, werden erwähnt, auch Anekdotisches kommt nicht zu kurz. Christian Thielemann gebührt nach Meinung des Verfassers der Preis für die beste Parsifal-Interpretation.
Das Schlusskapitel gibt die Meinungen von Regisseuren (Laufenberg, Stölzl), der Kundry Evelyn Herlitzius und des Dirigenten Thielemann über das Werk wieder.
Der Anhang bringt eine sehr umfangreiche Bibliographie für die nach weiteren Informationen Dürstenden, aber man hat als Leser durchaus das Gefühl, nun besonders gut gerüstet für den nächsten Parsifal-Besuch zu sein (136 Seiten, Bärenreiter Henschel Verlag, ISBN 978 3 89487 945 7)
OPERNFÜHRER KOMPAKT: Carmen hat viele Gesichter, und wohl aus dieser Einsicht heraus verzichtet Opernführer Kompakt darauf, eines davon zu zeigen, lässt den Betrachter des Covers nur auf den Hinterkopf einer schwarzhaarigen Dame in rotem Kleid und mit ebensolcher Blume im Haar schauen. Wie bei allen vorausgegangenen Folgen der Reihe liest sowohl der Opernneuling wie der Opernkenner den immer 136 Seiten langen Band mit Gewinn, fühlt sich gleichermaßen gut unterhalten wie belehrt. Zwar ist der Aufbau des jeweiligen Buches immer der selbe, aber auch für Carmen gibt es besondere, nur für diese Oper zu beachtende Aspekte: einmal die Tatsache, dass wie Don Juan oder Faust die spanische Zigeunerin (und der Autor Wolfgang Fuhrmann bekennt sich mutig zu dem inzwischen verfemten Terminus) einen Mythos darstellt, zum anderen ist ebenso unbezweifelbar, dass kaum eine Opernfigur so schillernd, so sehr in ihrer Beurteilung dem Wandel der Zeiten unterworfen ist, wofür nur die „femme fatale“ und die „emanzipierte moderne Frau“ als Beispiele genannt werden sollen.
Wie immer besonders interessant sind die in den Text eingestreuten „Steckbrief“-Artikel der Hauptpersonen (so eine Art „Ehrenrettung“ der heutzutage oft als dümmlich altbacken dargestellten Micaëla), aber hier auch die Gegenüberstellung von Opéra-Comique und opéra comique, wertvoll ist die sich über mehrere Seiten erstreckende Zeittafel mit einer Verbindung historischer und das Leben des Komponisten betreffender Daten. Und wenn der Verfasser schon von Zigeunern schreibt, dann aber auch einen Absatz über die Verbrechen der Nazis an eben dieser Volksgruppe. Auch andere, damals und /oder heute verwendete Bezeichnungen wie Bohémienne werden einer Betrachtung unterzogen.
Detailliert wird der Werdegang Bizets beschrieben, werden auch seine anderen, weniger oder gar nicht erfolgreichen Opern berücksichtigt. Natürlich gibt es einen Vergleich zwischen der Novelle Mérimées und dem Libretto Halévys, das der Komponist an vielen Stellen veränderte, wie zum Beispiel anhand der Habanera nachgewiesen. Aus Distanz wird unmittelbare Nähe, wenn der Ich-Erzähler wegfällt, der Verzicht auf den Epilog verändert ebenfalls das Verhältnis zu den Figuren.
Besonders interessant und hier ausführlich dargestellt ist die Entstehungsgeschichte, das Hin und Her zwischen Dialog- und Rezitativfassung, wenn trotz mehrfacher Versuche, eine kritische Edition herzustellen, diese immer noch auf sich warten lässt.
Natürlich findet auch die Musik die ihr gebührende Beachtung, wenn auf die ungewöhnliche Stimmkonstellation, auf die besondere Funktion des Singens, was die Titelfigur betrifft, auf Spanienmode und Exotismus, Zigeunertonleiter und die Wandlung des Schicksalsmotivs hingewiesen wird. All das verzichtet auch nicht auf Notenbeispiele, auch wenn nicht alle 13 Fassungen der Habanera vertreten sind.
Carmen auf der Bühne und im Film ( 82 soll es geben) ist ein weiteres Kapitel gewidmet, die erste Sängerin der Partie wird portraitiert, Meinungen u.a. Nietzsches und Wagners dokumentiert, und auch der Hinweis auf Carmen-Parodien fehlt nicht, ebenso wenig wie ein Bekenntnis von Fuhrmann zu französischen Sängern als eigentlich dazu berufene Interpreten, die Authentizität des Werks zu garantieren – Beispiele werden dem Leser nicht vorenthalten. Und manchem von ihnen wird es freuen, dass sich nach Meinung des Verfassers das Werk einer Inszenierung durch „moderne“ Regisseure verweigert, wie die seiner Meinung nach misslungenen Produktionen an Berliner Staatsoper (Kušej) und Komischer Oper (Baumgarten) beweisen sollen.
Wie immer in der Reihe gibt es in den Text eingestreute Schwarzweißfotos und einen farbigen Fototeil in der Mitte des Bandes (Bärenreiter und Henschel 2016; ISBN 978 3 7618 2209 8) Ingrid Wanja
Gerd Uecker: Puccinis Opern. Ein musikalischer Werkführer – informationsreich mit kleinen Irrtümern. In der Reihe WISSEN des Beck-Verlags (ISBN 978 3 406 69842 2), zu der auch die zahlreichen Musikalischen Werkführer gehören, geht als Mann der Praxis, er war u.a. Direktor der Bayerischen Staatsoper und Intendant der Dresdner Semperoper, Gerd Uecker gleich in medias res, indem er ohne Einleitung und Vorwort mit dem vokalen Erstlingswerk Puccinis Le Villi beginnt. In der Folge kann sich der Leser darauf verlassen, dass jedem Kapitel, d.h. jeder Oper ein kleingedruckter Absatz vorangestellt wird, in dem jeweils Textvorlage(n), Librettist(en), Ort und Datum der Uraufführung, unterschiedliche Fassungen und der Inhalt, nach Akten unterteilt, zur Information bereit gestellt werden.
Von diesem Informationsteil hebt sich durch ein anderes Buchstabenformat der interpretatorische Teil ab, der über die Entstehung der Oper berichtet, eine kritische Einschätzung bietet, auch ein Verhältnis zu den anderen Werken des Komponisten herstellt und sogar zu der Musik der zeitgenössischen Kollegen.
Interessant ist bei der Ballett-Oper Le Villi der Hinweis auf die damalige Beliebtheit deutscher Stoffe, etwas rätselhaft die Behauptung einer sogenannten „artifiziellen Meisterschaft“, die erreicht worden sein soll. Mehr als aus einem gewöhnlichen Opernführer erfährt man in vielen Kapiteln des Buches. So gibt es in dem über Edgar den Verweis auf Verdis Otello, der zur Verunsicherung Puccinis geführt haben soll, was überzeugend dargestellt wird. Interessant ist auch, was der Autor bei der Gegenüberstellung der beiden großen Frauenpartien Fidelia und Tigrana (Puccinis einzige große Mezzo-Rolle) mitzuteilen hat, besonders weil auch Allgemeines über den von Puccini in seinen Opern bevorzugten Frauentyp vermittelt wird.
Bei Manon Lescaut (der Autor geht chronologisch vor) ist der Leser erfreut über den Vergleich des Librettos mit der Romanvorlage und der etwa gleichzeitig entstandenen Oper Massenets, hätte im Absatz über Puccinis Manon aber wohl gern noch mehr über deren Besonderheiten erfahren. Dass nur geringe Gemeinsamkeiten mit Wagners Musik aufgespürt werden können, überrascht nicht, wichtig ist der Hinweis auf den Bruch mit der bis dahin verbindlichen Libretto-Ästhetik und die Hinwendung zum Ausdrucksrealismus. Im Kapitel über La Bohéme gibt es eine Begriffsbestimmung des schillernden Wortes Bohéme, einen Vergleich mit Murgers Roman (was Tosca betrifft mit Sardou und Butterfly mit Belasco), und auch die Konkurrenz mit Leoncavallo bei der Vertonung des Stoffes wird dem Leser nahe gebracht, ebenso der Episodencharakter, der nicht mehr Akte, sondern Bilder auseinander folgen lässt. So wertvoll die Erkenntnisse wie die die musikalische Struktur betreffenden sind, so unverständlich sind einige Ungenauigkeiten bei der Schilderung der Handlung. So verlässt Rodolfo Mimi nicht aus Bequemlichkeit, verhandelt Tosca nicht während der Folterung Cavaradossis mit Scarpia, wird nach der Sopran- und den beiden Tenorarien in Tosca durchaus geklatscht. Bliebe der Beifall nach „Vissi d’arte“ aus, wäre das eine Katastrophe für die Diva. Da der Verfasser sich dankenswerterweise sehr ausführlich mit dem Vergleich verschiedener Fassungen der einzelnen Opern befasst, hätte auch der Ersatz der patriotischen Hymne durch das von Puccini selbst verfasste „E lucevan le stelle“, die nachträgliche Einfügung von „Addio, mio fiorito asil“ in Madama Butterfly erwähnt werden können. Mit Tosca übrigens sieht der Autor das Ende der heroischen Epoche in der Oper gekommen, da nun alles dem Zufall (der Fächer der Atavanti) überlassen sei. Das regt zum Nachdenken an, allerdings auch darüber, dass auch il fazoletto durch einen Zufall aus den Händen Desdemonas in die Jagos gekommen ist.
Es ist erstaunlich, wieviel Material das doch eigentlich recht schmale Büchlein enthält, so wenn eine kurze Geschichte Japans dem Kapitel Butterfly vorangestellt werden kann, ausführlich über die Quellen und das Hin und Her zwischen 3, 2 und schließlich wieder 3 Akten und das Scheitern der Uraufführung an der Scala geschrieben wird. Etwas schwierig ist es, nachzuvollziehen, dass die Oper ihre Heldin zu einem „Kunstgeschöpf“ macht, das aus seiner realen Umwelt gelöst wurde, denn die meldet sich doch mit Onkel Bonze oder Goro recht nachdrücklich zu Wort. Lesenswert sind auch die Bemerkungen über den Einfluss japanischer Musik
auf die Oper.
Im Kapitel über La Fanciulla del West erläutert der Verfasser ausführlich, warum man in Bezug auf diese Musik von einem „Puccini nuovo“ sprechen kann, die harte Kritik an der Sentimentalität wird nicht jeder sich zu Eigen machen mögen. Das Ringen um den Schluss, die historischen Ereignisse, die die vorgesehene Uraufführung verhinderten, die Aufdeckung der Schwächen des Werks dürften für jeden aufschlussreich sein.
Beim Trittico ist sicherlich jedem neu, dass Dantes Gattin selbst eine Betroffene bei der Erbschleicherei in Gianni Schicchi war. Im Turandot gewidmeten Kapitel werden wie die Quellen (Persien, Gozzi, Schiller, dessen Übertragung ins Italienische) die Schwierigkeiten mit dem Schluss der Oper (6 unterschiedliche Text-Versionen), der Versuch der Psychologisierung der Figur der Prinzessin, die Vollendung durch Alfano und Berio dem Leser nahe gebracht.
Insgesamt liest man das Buch selbst als Opernkenner mit Gewinn, macht das Wissen um vieles, was bis dahin unbekannt war, den Genuss der jeweiligen Oper noch vollkommener. Ingrid Wanja