Ikone der Musik

 

Die Tonhalle Zürich ist eine der Ikonen der Häuser für Musik. Von den renommierten Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer aus Wien wurde sie 1895 erbaut. Das renommierte Architektenduo, das zeitweilig bis zu 20 Architekten beschäftigte und zahlreiche Büros unterhielt, schuf bedeutende Theaterbauten (48) in ganz Europa. Neben dem Interimstheater in Brünn, dem Stadttheater Odessa, dem Neuen Deutschen Theater in Prag, dem Kroatisches Nationaltheater Varazdin, dem Volkstheater Budapest dem Stadttheater/Opernhaus Zürich, dem Kroatischen Nationaltheater in Zagreb, der Komischen Oper Berlin und dem Hoftheater in Wiesbaden, um nur einige der Prachtbauten zu nennen, auch das Wiener und andere Konzerthäuser.

Die Tonhalle in ihrer ursprünglichen Gestalt, spektakulär am Zürichsee gelegen, war ein multifunktionales Musik-Gebäude mit Wandelgängen, Gärten und Restaurants, sowie Pavillon. 1937 bis 1939 wurde die ursprünglich äußere Gestalt durch einen Teilabbruch und den Neubau eines Kongresshauses stark verändert. Die jungen Zürcher Architekten Haefeli, Moser und Steiger bauten die Tonhalle zum Kongresshaus für die Schweizerische Landesausstellung um.

Nach Abschluss der aufwendigen Restaurierungsarbeiten haben die Musikwissenschaftler Inga Mai Groote und Laurenz Lütteken von der Universität Zürich sowie Ilona Schmiel von der Tonhalle-Gesellschaft Zürich eine prachtvolle zweisprachige (deutsch/englisch) Dokumentation mit instruktiven Texten verschiedener Autoren und brillianten Fotografien von heute sowie historischen Abbildungen herausgegeben.

Ilona Schmiel betont mit Blick auf die Wiedereröffnung der Tonhalle den „Bürgerstolz“ der Zürcher. Ulrike Thiele zeichnet die „musikalische (Vor-) Geschichte der Zürcher Tonhalle nach und breitet ein Panorama der Konzertsäle in Zürich vor 1895 aus, als da wären der Chorherrensaal, der Musiksaal am Kornhaus, das Casino am Hirschgraben, das Aktientheater (an dem Richard Wagner eine bedeutende Rolle im Musikleben Zürichs spielte, das neue Kornhaus am See und die Alte Tonhalle. Es ist auch ein Panorama der dortigen Chef- und Gastdirigenten. Über die Architektur der Tonhalle, eines Ortes „des ästhetischen Genusses“, „bürgerlicher Selbstverständigung“ und deren „gebauter Szenographie“ informiert Dietrich Erben. Er macht deutlich, dass der Ursprungsbau der Zürcher Tonhalle nach dem unverkennbaren Vorbild des für die Weltausstellung 1878 erbauten Palais du Trocadéro in Paris erbaut wurde, „ein Zeugnis jener durchaus nostalgisch verklärten Belle Époque“. Genaueres zur Umgestaltung der Tonhalle in den 30er Jahren erfährt man von Elisabeth Boesch. Aber auch Details der Restaurierung.

Karlheinz Müller und Michael Wahl berichten von den Schwierigkeiten, Methoden und Erfolgen einer gelungenen renovierten Akustik des Gebäudes.

Wie die Herausgeber betonen: „Selbst, wenn durch den Teilabbruch 1937 und den Neubau des Kongresshauses 1939 die äußere Konzeption zerstört wurde, blieben der große und kleine Konzertsaal als Kern des Baus erhalten, nun eingebunden in ein für gemischte Nutzungen des 20. Jahrhunderts bestimmtes Gebäude. Die aufwendige Sanierung, die sich beim Saal am Zustand des Jahres 1895 orientierte, beim Kongresshaus am Zustand von 1939, lässt daher nicht nur einen herausragenden Gebäudekomplex der Vergangenheit in neuem Glanz erstrahlen. Vielmehr bekommt die gegenwärtige Musik in Zürich damit einen herausragenden Ort zurück, einen Ort, der topographisch, architektonisch und akustisch Weltgeltung beanspruchen kann.“

Die von der UBS Kulturstiftung und dem Freundeskreis Tonhalle-Orchester Zürich geförderte Publikation für ein internationales Publikum belegt den Ausnahmerang des Gebäudekomplexes, nach wie vor der Hauptspielstäte der 1812 gegründeten Allgemeinen Musik Gesellschaft (und des 1868 gegründeten Tonhalle-Orchesters) Zürich. Es konnte am 15. September 2021 seine Heimstätte wieder in Besitz nehmen. Auch der Verein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien formierten sich 1812. Zwei beispielhafte Institutionen der „Verbürgerlichung“ des Musiklebens, wie man liest: „Damit allerdings wurde auch der Ort für die Musik zu einer eigenen, neuen Spezies: Der Bautyp des Konzertsaals entstand. Entweder konnten bestehende Säle umgebaut werden (wie der Kölner Gürzenich ab den 1820er-Jahren, das bereits ab 1781 als Konzertsaal genutzte Leipziger Gewandhaus 1834 bzw. 1842 oder das Zürcher Kornhaus 1867), oder es entstanden spektakuläre Neubauten wie die Berliner Singakademie (1827), das Münchner Odeon (1828) oder die auf Instrumentalvirtuosenkultur abzielende Säle wie die Salle Pleyel in Paris (1889). Nach den gescheiterten Revolutionen der Jahre 1848/49 wuchs das Interesse an repräsentativen Konzertsälen nochmals. Im industriellen Zeitalter wurden die Bauten nicht nur größer (die Royal Albert Hall von 1871 weist knapp 6000 Sitzplätze auf, der große Saal des Trocadéro in Paris von 1878 bot 5000 Zuhörern Platz), sondern in der Durchführung immer anspruchsvoller und immer professioneller. Zudem strahlte der Bautypus auf die ganze Welt aus (wie in der ab 1891genutzten Carnegie Hall in New York mit 2800 Plätzen).“

Eindrucksvolles, ja imposantes Bildmaterial über Architektur der Tonhalle und ihrer Vorgängerbauten, des Bauschmucks, des Gartens, der Leuchter und Lampen sowie der Gastronomie und Topographie lassen keine Fragen offen. Auch die Tonhalle als Touristenattraktion kommt in der Darstellung nicht zu kurz. Ausführlich wird der Restaurierungsprozess fotografisch dokumentiert. Eine Zeittafel sowie Anmerkungen runden die gelungene Publikation ab.

Fazit des Buches: „Die aufsehenerregende Tonhalle ist daher nicht einfach ein Monument, das nun restauriert worden ist. Sie lebt von den Inhalten, der klingenden Musik. Das wussten die Begründer des Baus ebenso wie diejenigen, die ihn in den 120 Jahren danach lebendig gehalten haben. Ein Konzertsaal existiert wegen der Musik – und für die Menschen, die sie darin erleben, immer wieder anders und immer wieder neu. Die Architekten des 19. Jahrhunderts träumten von ausgesparten Räumen, in denen man den Alltag hinter sich lassen konnte. lm 21. Jahrhundert braucht die Musik weiterhin Räume, in denen sie unter besten Bedingungen aufgeführt und gehört werden kann; Dies leistet die Tonhalle Zürich. Ihre Restaurierung ist daher keine Investition in die Vergangenheit, sondern eine in die Gegenwart und in die Zukunft.“ Das Buch dokumentiert es und veranschaulicht es aufs Schönste (Tonhalle Zürich 1895-2021. Hrsg. von Inga Mai Grote, Laurenz Lütteken, Ilona Schimmel Bärenreiter, 190 S., 29,95. ISBN 978376182608). Dieter David Scholz