UNA VITA DI TENORE

 

Schon vor Jahren munkelte man in italienischen Opernkreisen davon, die Tochter des Tenors Ottavio Garaventa habe einen Schlüsselroman über das Ambiente ihres Vaters geschrieben und jedermann forschte nach, ob er wohl darin vorkäme. Jetzt, zwei Jahre nach dem Tod des Fast-Genovesers, braucht niemand mehr zu rätseln, denn das neue, fünfte Buch von Marina Garaventa mit dem Titel „Una Vita di Tenore“ nennt die Personen beim richtigen Namen, sich selbst auch „Biografia“, und außer der Autorin haben in einem Vorwort und in einem Ricordo auch noch Roberto Iovino und Daniele Rubboli ihren Beitrag geleistet (bei Liberodiscrivere, einem Verlag, der ein wenig wie „on demand“ aussieht).  

Das Buch ist eingeteilt in Atti und Scene wie eine Oper, die Verfasserin schreibt nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Person von sich selbst, so dass das Ganze doch rein formal wie ein Roman wirkt. Auch dass seine Tante, die Sängerin Rosetta Noli, bei seinem ersten Schrei gerufen haben soll:“Tu diventerai un gran tenore“, hört sich eher wie der Beginn eines Romans als der eines Sachbuchs an.

„Una Vta di Tenore“  Garaventa LibrodiscrivereIn seinem Vorwort beklagt Roberto Iovino, wie schwer es heute Journalisten wie er haben, Artikel über klassische Musik in Tageszeitungen unterzubringen, was man als Leser des Corriere della Sera eigentlich nicht bestätigen kann. Er lobt die Bodenständigkeit seines Freundes Garaventa, dessen 80. Geburtstag nicht genügend gewürdigt wurde und der zu gut dafür war, eine erfolgreiche politische Karriere zu machen. Als Sänger hingegen gelang es ihm, zunächst als Bariton, später als Tenor, den Concorso Aslico zweimal zu gewinnen, in Busseto der Beste von 380 Bewerbern um den Ersten Preis gewesen zu sein.

Vor dem Kapitel über Abschied und Tod gibt es den Ricordo von Daniele Rubboli, der gewohnt ausschweifend und -ufernd wenig zur Sache selbst kommt und den Leser mit Ermüdung straft.

Marina Garaventa, deren Überleben gleich nach ihrer Geburt bezweifelt wurde, die von klein an  einem Syndrom litt, das es ihr nicht erlaubte, sich normal zu bewegen, und die inzwischen bettlägerig und auf eine Atemhilfe angewiesen ist, hat sich, das zeigt ihre Art des Schreibens, Humor und besonders ihren Sinn für Ironie bewahrt, was das Lesen ihres Buches sehr angenehm macht. Dabei umfasst die eigentliche Biographie 137 Seiten, die restlichen ca. 190 Seiten sind einem umfangreichen Anhang vorbehalten: den Kollegen, den Rollen als Bariton und als Tenor, den Debuts, der musica sacra, den CDs und DVDs, der Anwesenheit im Web und dem Namensregister.

Nicht nur die Karriere des Tenors bildet den Inhalt des Buches, man erfährt auch etwas über das Leben in Ligurien während des Krieges, den Kampf zwischen Partisanen und Mussolini-Anhängern, über das wirtschaftlich aufstrebende Nachkriegsitalien.

Wie viele Sänger seiner Zeit debütiert Garaventa in einer Wagnerpartie (Bruson mit Telramund und Vinco mit Klingsor), nämlich dem Heerrufer. In einer Vorstellung, in der er Rossinis Figaro singt, versagt ihm die Stimme, und es wird entdeckt, dass er eigentlich Tenor ist. Die Zeit des Umsattelns verbringt er als Kranführer im Hafen von Genua.

Das Bucht ist anekdotenreich, schildert die Sutherland von einer ganz neuen Seite, Corelli von der bekannten als Angsthasen vor dem Auftritt, die Rivalität mit Pavarotti und die fruchtbare Emilia, was das Hervorbringen von Tenören betrifft. Salvare la recita scheint eine Spezialität von Garaventa gewesen zu sein, davon werden viele auch komisch wirkende Beispiele genannt, sehr humorvoll wird die Staatsoper Wien als Ort staunenswerter Ordnung beschrieben. Erstaunt kann man darüber sein, dass Fabio Armiliato, gefördert von Garaventa, bei dessen Estate Sanvignonese den Capitano in Simon Boccanegra  und den Wagner in Boitos Mefistofele sang, Regie Ken Russel und nach seiner drogensüchtigen Mimi in Macerata ein weiterer Skandal. Auch aus der Arena di Verona gibt es Lustiges zu berichten, wenn Garaventa das Orchester rettet, indem er den falsch fallenden Kopf des Götzenbildes in Nabucco mit dem Fuß wieder in die richtige Bahn lenkt.

Übrigens staunt man, wie vielfältig das Repertoire in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Italien noch war, so sang Garvanta u.a. in Donizettis Il diluvio universale, in Catalanis Dejanice und in Mascagnis I Rantzau. In das Kapitel über den Tod des geliebten Vaters flicht Marina Garaventa die letzten Worte von Boitos Mefistofele“Giunto sul passo estremo“– ein sehr bewegender Abschied (LiberodiscrivereISBN 9788899137779).Ingrid Wanja