Knapp zehn Jahre nach seinem ganz unerwarteten Tod widmet der Verlag Zecchini Editore, Herausgeber auch der verdienstvollen Zeitschrift Musica, dem bulgarischen Bass Nicolai (in Italien Nicola) Ghiaurov ein Buch, geschrieben von Vincenzo Ramón Bisogni, der sich bereits auf den ersten Seiten nicht nur als Chronist, sondern ebenso als Verehrer des Künstlers zu erkennen gibt. In einem angenehmen, unterhaltsamen Plauderton und nicht selten wie mit einem verschmitzten Lächeln geschrieben, beginnt er die Biographie mit einem humorvollen Blick auf die „Invasion“ Italiens durch bulgarische Sänger und Sängerinnen in den fünfziger und sechziger Jahren und unterzieht die wichtigsten von ihnen einer sehr positiven Wertung. Interessant ist dabei, dass im Unterschied zur Sowjetunion die musikalischen Verbindungen zwischen Bulgarien und Italien auch in bezug auf die Gesangsausbildung nie ganz abgerissen waren.
Ausführlich werden der Geburtsort, die Herkunft, die ersten musikalischen Erfahrungen, seien es Kirchenchor oder Violine, geschildert. Wie ein Witz hört es sich an, wenn der Autor davon berichtet, Ghiaurovs erste Rolle sei der Cavaradossi gewesen, doch es ist der von Sardou, nicht Puccinis gemeint. Früh zeigt sich die musikalische Begabung des Basses, so dass er bereits während des Militärdienstes stellvertretender Chordirektor ist, Unterricht bei dem bekannten Lehrer Christo Brambarov nimmt, dessen Methoden ausführlich geschildert werden. Kurse in Leningrad und Moskau auch in der Stanislawski-Methode, später in Warschau führen schnell zum Debüt als Gounods Mephisto in Moskau, eine seiner bekanntesten Rollen im gesamten Verlauf der Karriere. International bekannt wird der Sänger durch das Gewinnen eines Wettbewerbs in Paris, wird aber zunächst Ensemblemitglied des Sofioter Opernhauses, wo er mit dem Basilio debütiert. Seine Antrittsvorstellung in Wien findet mit dem Ramfis statt, zwölf weitere Partien wird es hier in den Jahren 1957 bis 1999 geben.
Das Buch beruft sich oft auf die Urteile italienischer Kritiker bei der Schilderung der Karriere Ghiaurovs, besonders Rodolfo Celletti und Elvio Giudici werden herangezogen, um die Einmaligkeit der Stimme zu bekunden, aber auch Journalisten der verschiedenen Tageszeitungen. Rollenportraits werden mit großer Akribie entworfen, besonders Filippo und Boris, aber auch die vielen anderen Verdi-Partien, der Boito-Mephisto oder Don Quichotte, wobei Vergleiche mit den Leistungen anderer Sänger angestellt werden. Boris Christoff, nicht nur Intimfeind seines Schwagers Tito Gobbi, ist der große Rivale, der ihn nicht nur künstlerisch „bekämpft“, sondern Spionageverdacht nährt, weil der jüngere Kollege stets seinem Heimatland verbunden blieb, das ihn u.a. mit einer Briefmarke ehrte. Nicht nur in Boris Godunov, auch in Don Carlo werden beide aufeinander treffen.
„Sei un organo“, ruft es aus dem Chor der Loggionisten der Scala bei seinem Debüt am Mailänder Opernhaus als Don Giovanni. Zerlina ist Mirella Freni, die Jahre später seine zweite Frau werden wird. Der Autor stellt kompetente Vergleiche mit anderen berühmten Dons an, charakterisiert die Ausnahmestimme bei Überlegungen über basso cantante und basso profondo.
Humorvoll werden die einzelnen Stimmtypen analysiert, werden schlimme Diätfolgen beschrieben, von denen auch ein Ghiaurov nicht verschont blieb, wird dem Basilio ein ganzes Kapitel gewidmet, ebenso viel Raum nimmt der Vergleich von „Ella giammai m’amò“, von unterschiedlichen Künstlern gesungen, ein. In zwölf verschiedenen Produktionen wird der Bass den spanischen König singen.
Nicht verschwiegen wird, wenn sich Defizite vernehmen lassen.so beim Zaccaria, die Rollenwahl, so der Seneca von Monteverdi, nicht immer die glücklichste bedeutete. Und selbst die unterschiedlichen Vorlieben von Ghiaurov und Freni in bezug auf den Calcio, Inter oder Milan, bleiben nicht unerwähnt. Was man vermisst sind Fotos, deren es nur, sage und schreibe, drei gibt: Mephisto, Filippo, Gremin – da hätte man spendabler sein sollen (Zecchini Editore ISBN 978 88 6540 023 4).
Ingrid Wanja