Die Mozarts – Geschichte einer Familie nennt sich das Buch von Michael Lemster, und der eindeutige Titel hält hoffentlich reine Musikfreunde davon ab, sich den fast 400 Seiten umfassenden Band zuzulegen. Von der Musik Wolfgang Amadeus Mozarts ist nämlich in keiner einzigen Zeile die Rede, umso mehr kann sich der Historiker, besser noch der Genealoge angesprochen und durch die Lektüre bereichert fühlen, aber auch andere Hilfswissenschaften der Geschichtsforschung werden berücksichtigt, so die Numismatik oder die Geographie. Die Geschichte der Glasharmonika findet ebenso Zutritt in das Buch wie eine Geschichte der ökonomischen Situation von Musikern zur Mozartzeit. „Allen liebenden Familien“ ist das Werk gewidmet, was etwas verwundert, denn eher als Zweckverbände treten von Anfang, d.h. vom 15. Jahrhundert an, Eheleute und dazu gehörende Kinder als immer wieder zitierte „compagnie“ Mozart an, um den Kampf ums Überleben gemeinsam zu führen.
Interessant ist die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Berühmteste der Familie Mozart, vormals Motzhart, Wolfgang Amadeus nun Deutscher oder Österreicher sei. Bei der Beantwortung dieser Frage bleibt der Autor vorsichtig und behauptet nicht, die Mozarts „sind“, sondern meint, „ich betrachte sie“, und zwar als kulturell Deutsche. Insgesamt wird in einer anheimelnden bis betulichen Sprache mit vielen retardierenden Momenten erzählt, einem gemütvollen Plauderton voller sich in drei Stufen vollziehenden Steigerungen, Reihung von Gegensätzen, generell im den Leser ins Geschehen hineinziehendem Präsens, aber auch zur Hervorhebung bestimmter Tatsachen mit Wechseln ins Präteritum oder ins Futur. Geschickt wird von Fall zu Fall vom chronologischen Aufbau in einen thematischen gewechselt. Der Autor erscheint streckenweise wie ein Vertrauter des Lesers, dann wieder erhebt er sich besserwisserisch über ihn mit Wendungen wie „wie sollte es anders sein“. Eher Pathetisches wechselt mit Umgangssprachlichem wie „natürlich kann er sich von der öffentlichen Trauer nichts herunterbeißen“. Der spielerische Umgang mit der Sprache kann auch einmal schiefgehen wie im Satz: „Kaum eine Krankheit, die er nicht ausgelassen hat“, bezogen auf den dauerkranken W. A. Mozart. Insgesamt überzeugt das Buch nicht zuletzt dadurch, dass ehrlicherweise häufig mit „wahrscheinlich“, mit „so wird es wohl gewesen sein“, mit „vermutlich“ gearbeitet wird.
Der Autor räumt mit vielen Vorurteilen auf, die Witwe Constanze, die Schwestern Weber, Salieri und den Arbeitgeber in Salzburg betreffend. Auch das angebliche Armengrab für Mozart ist kein solches, sondern das nach den Reformen Josephs II. übliche Begräbnis.
Chronologisch wird vom ersten bekannten Mozart, einem Pächter eines Klosters in der Nähe Augsburg, vom Nachfahren, der Bürger der Stadt wird, einem Maurer, vom Buchbinder Johann Georg, dem Vater Leopold Mozarts berichtet, vom zähen Kampf nicht nur ums Überleben, sondern um den sozialen Aufstieg.
Das Verhältnis der Generationen zueinander, besonders das zwischen Leopold und Wolfgang Amadeus nimmt einen breiten Raum ein, ebenso das Wolfgangs zur Religion, nicht zu vergessen die Freimauerei. Die reichlich eingestreuten Briefe oder Ausschnitte aus ihnen sind wertvolles Quellenmaterial, die berühmt-berüchtigten Bäsle-Briefe werden nicht ausgespart, ebenso wenig wie die Frage, ob man bei Mozart von einem Tourette-Syndrom sprechen könne.
Das Buch endet mit dem Tod des letzten Mozartsohns (Enkel gab es nicht) im Jahre 1858.
Insgesamt ist das immerhin fast 400 Seiten umfassende Werk ein Garant für viele unterhaltsame wie kenntniserweiternde Lesestunden (2019 Benevento Verlag München, Salzburg; ISBN 978 3 7109 0073 0). Ingrid Wanja