Gleich zwei Bücher sind 2013 von Karl Löbl, dem Wiener Kritiker- und Operngiganten, erschienen, und wenn man das Nachwort des zweiten gelesen hat, wünschte man ihm von Herzen, dass er im gerade angebrochenen neuen Jahr auch noch das dritte, gerade in Arbeit befindliche vollenden kann, ihm die Krebserkrankung die Zeit dazu lässt. Das Schicksal wollte es anders. Karl Löbl ist am 27. Januar 2014 gestorben.
Der Balkonlöwe nennt sich das eine Buch, das ihn mit wenig Haaren in einer der Logen der Wiener Staatsoper zeigt, Nach den Premieren das andere. auf dessen Cover er bereits kahlköpfig an einem Kaffeehaustisch sitzt. Eher den österreichischen Lesern zu empfehlen ist der Salonlöwe, denn hier geht es zunächst einmal um Kindheit und Jugend des Halbjuden in Wien, der 1943 seine Liebe zur Oper bei einem Troubadour entdeckt und ihr 70 Jahre lang treu bleibt. Das ist noch von allgemeinem Interesse, weniger der Weg des Journalisten durch die Zeitungslandschaft Wiens, durch seine Rundfunk- und Fernsehanstalten bis hin zum nicht nur Balkon-, sondern eher noch Kulturlöwen, wobei man nicht an das eher abfällige Salontiroler oder Salonlöwe denken mag. Wie ein roter Faden zieht sich durch beide Bücher die Geschichte von dem Interview, das einst Karl Böhm zur Demission als Operndirektor zwang und in dem er erklärt hatte, für die Staatsoper Wien würde er nicht seine internationale Karriere opfern. Da scheint dem Verursacher noch Jahrzehnte danach selbst bange vor der Macht der Medien zu werden. Eine ähnliche Bedeutung hatte dann wohl nur noch die „Kredenz auf Radln“, die Gertrud Grob-Prandl zu seiner Intimfeindin werden ließ. Siegreich bestand der Autor jedoch alle Prozesse von Beleidigten, so auch Tänzern im allgemeinen und Hans Beirer, der kein Dinosaurier genannt sein wollte, im besonderen. Neben „meinen Sängern“ (Jurinac, Di Stefano, Domingo u.a.), über die vieles auch im zweiten Buch zu lesen ist, „meinen Dirigenten“ mit interessanten Aussagen besonders über Karajan, Carlos Kleiber, Bernstein und Mehta, den 12 Operndirektoren der Wiener Staatsoper, die allgemein interessieren, gibt es auch viel über Chefs, Vorbilder und Kollegen zu berichten. Zum Verständnis all dessen braucht man schon recht viel Insiderwissen, weshalb noch einmal auf das zweite Buch verwiesen werden soll. Probleme der Programmgestaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und den Stellenwert der Kultur wird auch der nicht-österreichische Leser als für ihn relevant erkennen können. Auch mit Anekdotischem wird nicht gespart wie dem Schreck Holenders, als ihm Thielemanns Mutter in der Direktorenloge offenbart, ihr Sohn würde nur einen Tristan und nicht die ganze Serie dirigieren. Der Verfasser ist sogar Urheber einer solchen, wenn er Holender „Herr Niederländer“ nannte, nachdem dieser seinen Dramaturgen Wagner Trenkwitz mit „Müller Thurgau“ angeredet hatte. Viermal konnte sich der Autor selbst Hoffnungen auf den heiß begehrten Direktorensessel machen, ohne je darauf zu sitzen. Nostalgisch wird es, wenn Löbl den Profilverlust der Staatsoper, aber auch der Dirigenten und ihres jeweiligen Stils und den Niedergang Salzburgs beklagt sowie die übergroße Verfügbarkeit von Musik heutzutage. Neben vielen anderen, die den Lebens- und Karriereweg Löbls kreuzten, wird auch Marcel Prawys gedacht, den er in gewisser Weise beerbte.
Der Untertitel des zweiten Buches (Nach den Premieren) ist Mein Leben in und mit der Oper, und so spielt diese hier auch eine noch größere Rolle als bereits im ersten Band. Da ist vom Figaro im Ausweichquartier der Staatsoper die Rede, als in Deutschland noch gekämpft wurde, von dem Interesse der Sowjets am Wiederaufleben der Kultur in der Viersektorenstadt, vom Konzert der Philharmoniker bereits am 28.4.1945. Auch die „gottbegnadeten Künstler“, die nicht eingezogen werden durften und den Nazis fast so wertvoll erschienen wie der „unersetzliche“ Furtwängler auf Hitlers Spezialliste, werden erwähnt. Triumphe und Niederlagen von Direktoren, Dirigenten und Sängern werden beschrieben wie der Streik wegen des „maestro suggeritore“, den Karajan nicht für seine italienischen Sänger durchsetzen konnte. Schmunzeln muss man, wenn man liest, dass Domingo 1973 erklärte, er wisse, wann er aufzuhören habe, und wenn man erfährt, dass der Tenor an einem Abend Luigi an der Volksoper und Canio an der Staatsoper sang. Ungeheuer reich ist das Wissen Löbls um das Wiener Musikleben, und er vermittelt es da am eindrucksvollsten, wo er selbst am Geschehen beteiligt war, während bei den Kurzbiographien vor allem der jüngeren Sängern ein Lexikon einen besseren Dienst leisten würde. Kleine Ungenauigkeiten sind dabei verzeihbar wie die Annahme, die Höflinge würden dem Duca mitteilen, sie hätten Rigolettos Tochter entführt, wenn Otto Schenk Janáceks Das schlaue Entlein 2014 inszenieren soll, wenn Flavio neben Norma auf der Bühne steht. Ghiaurovs nie erfüllter Wotan-Wunsch, Frenis ursprünglicher Name Fregni, Del Monacos Sprüche über Wagner bei seinem Siegmund in Stuttgart, Siepis Musical-Ausflüge – das alles liest sich ebenso spannend wie die Erzählungen über Baltsas, Cotrubas’ und Fassbaenders schlechte Erfahrungen mit Regisseuren oder ein Vergleich zwischen Nilsson und Mödl. Dankenswerterweise beschränkt sich Löbl nicht auf die großen Namen, sondern widmet sich auch weniger bekannten Sängern, die aber unverzichtbar für das Haus waren. Dass Luis Limas Karriere in Wien abrupt endete, weil sein Pass nicht verlängert wurde, wusste man ebenso wenig wie der Betriebsunfall bekannt war, dass gleichzeitig Karajan und C. Kleiber der Tristan angeboten wurde, wovon schließlich Bernstein profitierte. Ein besonderes Kapitel ist den Wiener Stimmen gewidmet, denen immer die besondere Sympathie des Publikums galt und gilt. Manches ist Statistik wie die 41 Wotane in Wien oder die 44 Jahre, die Taddei am Haus sang. Manches ist amüsante österreichische Spezialität wie der Kampf um die Bezeichnung „Generalmusikdirektor“, anderes wieder stammt aus Memoiren von Sängern, was verzeihbar, oder aus Interviews der Gattin Hermi Löbl, was hoch interessant ist. Aufgeklärt wird der Leser über den Unterschied Staatsopernorchester und Wiener Philharmoniker, über Stehplatzfreunde und -feinde, darüber, dass Max Lorenz eigentlich Max Sülzenfuß hieß. Auch der beste Kenner der Wiener Staatsoper wird noch etwas Neues über die Institution Wiener Staatsoper und ihren Chronisten erfahren (Der Balkonlöwe/ Seifert Verlag Wien ISBN 978 3 902424 00 und Nach den Premieren/Seifert Verlag Wien ISBN 978 3 902924 06 3).
Ingrid Wanja