Noch posthum glücklich schätzen könnte sich Richard Strauss, weil ein amerikanischer Musikologe die wohl Maßstäbe setzende Biographie zu seinem 150. Geburtstag geschrieben hat: Bryan Gilliam, der den Komponisten im Untertitel Magier der Töne nennt. Bereits in der Einleitung des Buches wird die grundsätzlich positive Haltung zu seinem Erzähl“gegenstand“ sichtbar, wenn der Autor vom „fröhlichen Agnostizismus“, von der „grundsätzlichen Dichotomie“ in Leben und Werk des Komponisten schreibt – und dies in einer so fundiert wirkenden wie lässig erscheinenden Art und Weise, die es dem Leser leicht macht, ihm zu folgen. Mit einem Mosaik vergleicht er die Ergebnisse seines Schaffens, in dem Gegensätze aufeinander folgten wie das bürgerlich-reale Intermezzo auf die mystische Frau ohne Schatten oder der Antiheld Don Quixote auf Ein Heldenleben.
Das Buch umfasst sechs Kapitel, ist chronologisch gegliedert, versucht aber zugleich jeder Zeit- eine Schaffensepoche zuzuordnen, was meistens ohne Brüche gelingt. Im Kapitel über die frühen Jahre, die bereits zu beachtlichem Ruhm führten, wird der Einfluss des Vaters, eines Berufsmusikers und Brahms- wie Wagnerverächters, wie der der oft depressiven und behandlungsbedürftigen Mutter geschildert. Wichtiger noch scheint der Freundeskreis, zu dem Alexander Ritter, Ludwig Thuille und Friedrich Rösch gehörten, gewesen zu sein, teilweise bereits als Kinder miteinander verbunden, wobei der sechsjährige Richard Strauss die erste Komposition vorlegen konnte. Ungeheuer plastisch sind die Schilderungen der Zeitgenossen, denen der junge Strauss, der mit 18 nach Wien, mit 20 nach Berlin eingeladen wird, begegnet, so wie auch die Schilderung der Wirkungsstätten Meiningen, München, Berlin, Wien und Dresden eine hoch interessante ist.
Auch mit Bayreuth kommt Brahms mehrfach in Berührung, erst als Unterstützer Cosimas (die ihn zum Gatten für die Tochter Eva ausersah), indirekt als Assistent ihres ersten Mannes von Bülow, später, was sich als verhängnisvoll erweisen wird, als Ersatz für Toscanini. Von Bülow ist einer derjenigen aufrichtigen Freunde, die Strauss die Vernachlässigung des melodischen Einfalls zugunsten von Variation und Technik vorwerfen und ihm Hinweise zur Korrektur seines Komponierens geben. Der Verfasser schildert den Übergang von der klassischen Sinfonie zur Tondichtung, die Entstehung von Macbeth, Don Juan, Tod und Verklärung, Till Eulenspiegel. Eindrucksvoll geschildert die Lösung von Schopenhauer und damit Wagner und die Hinwendung zu Nietzsche, im Werk dokumentiert durch Also sprach Zarathustra. Erfrischend ist dabei, dass selbst so anspruchsvolle Passagen in wunderbarer Klarheit und Nachvollziehbarkeit geschrieben sind.
Das Lied tritt mit der späteren Gattin Pauline De Ahna in den Blickpunkt, denn für ihre Stimme komponiert der junge Strauss, so wie später für Elisabeth Schumann, ganz am Ende des Lebens für Kirsten Flagstad die Vier Letzten Lieder. Ein Verdienst Gilliams ist es auch, dass er ausdrücklich noch einmal die Vorwürfe Alma Mahler-Werfels zurückweist, Strauss habe Mahler eher geschadet als genützt. Das Buch beschränkt sich in keinem seiner Kapitel auf Strauss und sein Schaffen, sondern bezieht stets, so auch in der Schilderung des Berliner Musiklebens vor dem Ersten Weltkrieg, den geographischen und gesellschaftlichen Kontext mit ein. Mit Berlin ist da besonders Strauss‘ Kampf um ein modernes Urheberrecht wichtig, ein Anliegen, um das es ihm auch als Präsident der Reichskulturkammer gehen wird und wegen dessen er sogar mit Hitler in Bayreuth verhandelt, obwohl ihn ganz persönliche, existenzielle Sorgen plagen. Übrigens ist der bereits nach zwanzig Monaten wieder entzogene Titel nichts gänzlich Neues gewesen, denn Strauss war bereits zu Beginn des Jahrhunderts Präsident des Allgemeinen Deutschen Musikvereins gewesen.
Auch von dem Vorwurf, Strauss sei käuflich gewesen, so als er in den USA neben vielen anderen zwei Konzerte in einem Kaufhaus gegeben habe, reinigt ihn sein Biograph, indem er eindringlich schildert, wie der Komponist zweimal durch die beiden großen Kriege sein gesamtes Vermögen verlor, das er vor dem Ersten Weltkrieg auf einer Bank in England deponiert hatte, und wie er stets von Sorgen um das Wohl seiner Familie geplagt wurde. Die verstärkten sich noch, als seine jüdische Schwiegertochter und seine beiden Enkel bedroht wurden. Die weitverbreitete Ahnungslosigkeit dokumentiert sich in dem Versuch Strauss‘, die Großmutter seiner Schwiegertochter in Theresienstadt besuchen zu wollen. Es ist kaum vorstellbar, dass ein deutscher Autor so viel Verständnis auf ein gewisses Sicheinlassen auf die Nazis und eine damit zusammen hängende Blauäugigkeit aufgebracht hätte wie der amerikanische Biograph.
Hoch interessant ist die Beschreibung der Zusammenarbeit von Strauss mit seinen Librettisten, natürlich besonders mit Hugo von Hofmannsthal („Da Ponte und Scribe in einer Person“), aber auch mit Stefan Zweig und Joseph Gregor und mit dem Regisseur Max Reinhardt, Mitbegründer der Salzburger Festspiele. Da ist zwar vieles bereits bekannt und gut dokumentiert gewesen, aber es gibt immer wieder überraschende und neue Akzente. Die Entstehung der Opern, die hier nicht aufgezählt zu werden brauchen, wird ausführlich dokumentiert.
Liest man die Geschichte der Wiener Zeit Strauss‘, kommt einem vieles bekannt vor, scheinen Intrigen schon damals das tägliche Brot und an der Tagesordnung gewesen zu sein, gegenüber Strauss von Weingarten und Vater Korngold ausgeübt. Aber immer wieder gibt es Berichte über neuartige Projekte wie den Rosenkavalier-Film oder die beiden Kompositionen für den armamputierten Pianisten Wittgenstein.
1930 bereits nennt Strauss Hitler einen Verbrecher, kann aber auch der Weimarer Demokratie nicht viel abgewinnen. Er komponiert die Olympische Hymne, hatte das aber bereits 1931 zugesagt, ersetzt Kollegen am Dirigentenpult, spendet aber die Gage. Er erhofft sich den Schutz seiner Familie durch Hitler, erhält aber nur den von Baldur von Schirach in Wien und muss sich schließlich von Goebbels anhören: „Sie, Herr Strauss, sind von gestern“. Capriccio und Metamorphosen sowie einige Orchesterstücke und Lieder nach dem Krieg beschließen das Werk des im Alter von 85 Jahren sterbenden Komponisten, den der Verfasser seiner Biographie dem Leser als Musiker wie als Menschen sehr nah gebracht hat (C. H. Beck Verlag, 234 Seiten, ISBN 978 3 406 66246 1).
Ingrid Wanja