Leidenschaftliches Plädoyer

Viel vorgenommen hatte sich Paolo Petronio, als er genau am 2. August 2007 auf einem Schiff im Atlantischen Ozean mit seinem Buch über Alfredo Catalani begann: die Rehabilitierung eines nach Meinung des Autors zu Unrecht zwar nicht vollkommen vergessenen, aber weit unterschätzten Komponisten. Dieses Vorhaben ist er mit so viel Leidenschaft wie Akkuratesse, so viel Kampfgeist wie Unbeirrbarkeit angegangen und hat auf 535 Seiten nicht nur ein Lebensbild Catalinas nachgezeichnet, sondern vor allem eine detaillierte, kenntnisreiche und einfühlsame Analyse sämtlicher Werke des früh verstorbenen, da von klein auf an Tuberkulose leidenden Musikers geliefert. Zahl- und umfangreiche Notenbeispiele untermauern seine Untersuchungen, wobei deren Studium durch die abfotografierten Blätter nicht einfach ist, wenn auch die Authentizität des Ganzen dadurch einen zusätzlichen Touch erhält.

 Alfredo Catalani vor der Mailänder Scala (OBA)

Alfredo Catalani vor der Mailänder Scala (OBA)

Wie viele Italiener insbesondere aus den nördlichen Landesteilen hegt der Verfasser eine gewisse Verachtung gegenüber dem eigenen Land und seinen Möglichkeiten und versäumt keine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, wie aufmerksam man sich in „Mitteleuropa“ gegenüber dem Werk seines Favoriten verhält, wie „ordinato“ es in Institutionen jenseits der Alpen zugeht, wenn man Vergleiche mit denen Italiens anstellt. Selbst in der sehr umfang- und kenntnisreichen Diskographie schneidet dann auch die Aufnahme von La Wally unter Pinkas Steinberg mit Interpreten von diesseits der Alpen besser ab als die z.B. mit der Tebaldi, deren Sopran der „valkiria della neve“, die die Wally darstellt, nicht gewachsen war. Schnöde findet der Autor, dass die Büste Catalanis aus dem Scala-Foyer nach der Renovierung des Operhauses verschwunden ist, dass das nach ihm benannte Theater in der Nähe seiner Geburtsstadt Lucca nun „La Bomboniera“ heißt.

Von David Chandler gibt es ebenfalls eine Catalani-Monographie

Von David Chandler gibt es ebenfalls eine Catalani-Monographie

Die ersten musikalischen Eindrücke, die der Autor empfing, waren Ausschnitte aus Catalanis La Wally, weitere Begegnungen mit dessen Musik fallen mit wichtigen Ereignissen in der Familie, so dem Tod der Großmutter, zusammen. Man merkt nach wenigen Seiten, dass der Komponist für Petronio mehr als ein Studiengegenstand ist, dass Kritiker des Idols als persönliche Feinde angesehen werden wie Michelangelo Zurletti. Dagegen ist die Firma Bongiovanni in Bologna von Lichtgestalten bevölkert, ist sie es doch, die die kaum bekannten Werke aus der Frühzeit zumindest in einer Aufnahme auf den Markt gebracht hat.

Da es bereits Biographien Catalanis gibt, liegt das Hauptaugenmerk des Verfassers auf dessen Werken, besonders den Opern, aber auch die Geschichte von Triest, Südtirols, eine ausführlich Inhaltsangabe des Romans von Wilhelmine von Hillern, der die Vorlage für das Libretto von La Wally war, finden neben vielen anderen Themen, die das Schicksal Catalanis berührten, Platz in dem umfangreichen Buch. Dazu gehört auch ein Vergleich von Roman und Libretto sowie der der beiden unterschiedlichen Schlüsse der Oper.  Auch hier erweist sich der Autor als Kenner, wenn er nachweist, wie viel theaterwirksamer der Freitod Wallys im Vergleich zu dem beide Liebenden betreffenden Tod durch Lawinenabgang ist.

Ausschnitt aus dem Deckblatt zum Klavierauszug der "Loreley" Catalanis/OBA

Ausschnitt aus dem Deckblatt zum Klavierauszug der „Loreley“ Catalanis/OBA

Immer wieder kommt es zu Vergleichen zwischen Catalani und Puccini, beide aus Lucca stammend und nicht nur wegen unterschiedlichen Talents für die Oper sich voneinander unterscheidend, sondern auch durch die unterschiedliche Behandlung durch das Verlagshaus Ricordi, das Catalinis von dessen Verlegerin gekaufte Partituren zurückhielt, um Puccini zu fördern. Neben Ricordi gibt es noch andere Sündenböcke wie Toscanini, der zwar Catalani aufführte, aber sich über dessen Musik zweideutig äußerte, andererseits seine Kinder Wally und Walter nannte. Gavazzeni schneidet da weitaus besser ab. Manchmal hat man den Eindruck, dass der Autor aus Liebe zu seinem Sujet im Aufspüren von Widersachern etwas über das Ziel hinaus schießt.

Liebevoll geschildert wird di Musikstadt Lucca, wird die Familie Catalanis, nicht ohne einen Seitenhieb auf die heutige Musikausbildung. Falsche Zuordnungen wie die zu den Veristen oder dem Kreis der Scapigliati werden zurück gewiesen. Verdi wird als „rozzo contadino“ im Vergleich zum feinsinnigen, zartbesaiteten Catalani bezeichnet.

Der Hauptteil des Buches gilt den Werken des Komponisten, deren Entstehungs- und größtenteils mageren Rezeptionsgeschichte. Inhaltsangaben werden gefolgt durch Analysen der Musik, die den eigentlichen, großen Wert des Buches ausmachen. Der historische Hintergrund, soweit es einen solchen gibt, wird dem Leser zur Kenntnis gebracht. Abschließend gibt es eine Bewertung, eine Einordnung in das Gesamtschaffen und eine Darstellung der Änderungen, teilweise durch Intendanten, die man auch versteht, wenn man mit den Klavierauszügen nichts anfangen kann. La Falce, Elda, Dejanice, Edmea, Loreley (Umarbeitung von Elda und Verlegung von der Ostsee an den Rhein) und La Wally werden so nacheinander abgehandelt, wobei auch Vertonungen des Stoffs durch andere Komponisten, das trifft insbesondere auf Loreley zu, nicht nur eine knappe Erwähnung finden. Ein tabellarischer Vergleich von Elda und Loreley erweist sich durch seine Übersichtlichkeit als hilfreich.

Catalanis Grabplatte in Mailand (OBA)

Catalanis Grabplatte in Mailand (OBA)

La Wally ist auch Anlass für ausführliche Schilderungen der geographischen Gegebenheiten, wobei zum ersten Mal ein Defekt auffällt, der ansonsten typisch für italienische Autoren ist: die Fehler beim Schreiben ausländischer Namen. Hier gibt es nun mal ein Schnals (richtig), mal ein Schnalz oder gar ein Schmalz als Ortsangabe, während zuvor der Verfasser seine Hochachtung gegenüber Mitteleuropa auch durch die korrekte Schreibweise von Namen aus diesem Bereich bewies. Dass La Wally nach Petronio eine „opera tedesca“ ist, dürfte umstritten, die Entscheidung aber nicht von besonderer Relevanz sein.

Abschließend vor dem umfangreichen Anhang stellt sich Petronio noch einmal die Frage nach den Gründen für die mangelnde Popularität seines Helden und findet sie in der zu intensiven sinfonischen Orientierung auch seiner Opern, der Melancholie ohne kraftvolle Handlung, dem Mangel an Leidenschaft bei den Personen und- natürlich- Verleger Ricordi. In dem Verfasser seiner Biographie jedenfalls hat der Komponist posthum den leidenschaftlichen Unterstützer gefunden, der ihm zu Lebzeiten versagt blieb (2014 Zecchini Editore, ISBN 978 88 6540 111 8)

Ingrid Wanja