„Frida Leider – Sängerin im Zwiespalt ihrer Zeit“ von Eva Rieger: Der Titel ist semantisch vage, doch vielversprechend, die Autorin renommiert. Es gibt viele Gründe, auf dieses Buch sehr gespannt zu sein. Zumal für einen wie mich, der von den Aufnahmen der Leider heute genau so elektrisiert ist wie vor dreißig Jahren. Noch bevor das Buch auf dem Markt war, hat der Musik- und Theaterwissenschaftler Stephan Mösch, der das kluge Vorwort beisteuerte, wissen lassen, dass er sich vieles habe angestrichen, „um es möglichst im Kopf zu speichern“. Ich habe mir auch vieles angemerkt. Nicht alles taugt dazu, memoriert zu werden.
Der Reihe nach. Das Buch folgt dem klassischen Muster einer Biographie, beginnt mit der Geburt am 18. April 1888 am Berliner Arkonaplatz und endet mit dem Tod am 4. Juni 1975 in einem Krankenhaus in Charlottenburg. Je näher es zum Abschluss kommt, umso dürrer werden die Informationen. Das ist verwunderlich, zumal es auch mehr Zeitzeugen geben dürfte, die Frida Leider noch gekannt haben. Bemüht werden sie nicht. Die in der Schweiz lebende Freundin Liva Lagger, Witwe des 1979 verstorbenen Bassisten Peter Lagger, findet lediglich einmal Erwähnung mit der Mitteilung über den Selbstmord der Mutter der Leider 1948 (S.184). Wer so ein Geheimnis kennt, das die legendäre Sängerin offenbar genau so mit ins Grab nehmen wollte wie die von Friedelind Wagner behauptete Tatsache, dass auch der Vater freiwillig aus dem Leben schied (S. 21), der dürfte nach aller Erfahrung noch mehr wissen. Dem Vernehmen nach stand Frau Lagger der alternden Leider sehr nahe, soll auch den Nachlass betreut und notwendige Formalitäten erledigt haben.
Ihre letzte Ruhe fand Frida Leider an der Seite ihres Mannes Rudolf Deman auf dem Friedhof Heerstraße am Olympiastadion. Deman war Konzertmeister der Staatskapelle, Gründer eines eigenen Streichquartetts und Hochschulprofessor. Nach der Hochzeit 1930 war er der ständige Begleiter seiner zweiten Frau, eben Frida Leider. Als Jude durfte er nach 1933 keine öffentlichen Ämter mehr bekleiten und ging in Schweiz, wo er die Nazizeit überlebte. Deman starb 1960 im Westen Berlins, nachdem er als Hochschullehrer wieder in seine alten Rechte eingesetzt worden war. Auf dem Friedhof hat das Ehepaar mit Frieda Hempel, Margarete Klose, Ludwig Suthaus, Michael Bohnen, Leo Blech und Dietrich Fischer-Dieskau prominente Nachbarn. Wer vor dem Ehrengrab steht, entdeckt ein ovale Platte mit der Aufschrift „Hilde“, die in die grüne Bedeckung eingelassen ist. Wer ist Hilde? Das Buch gibt darauf keine Antwort. Es kann sich nur um Hilde Bahl handeln, die von „einer guten Bekannten“ (S. 78) schließlich doch noch zu „einer guten Freundin“ (S. 108) wird. Sie liefert im Buch einige interessante Details. So „beschloss das Ehepaar, sich bei den Nazis als treue Untertanen mit großer Präsenz in Deutschland beliebt zu machen“. Sie gibt außerdem zu Protokoll, dass die Sängerin „zur Tarnung“ ein Bild Hitlers auf ihrem Flügel stehen hatte. Viel mehr wird über die Bahl, die am 13. Mai 2003 im Alter von 104 Jahren starb, nicht bekannt. Sie wird aus der Biographie herausgehalten, obwohl sie über viele Jahre mit Frida Leider in einer Wohnung in Charlottenburg zusammenlebte und dort bis zu ihrem Umzug in ein Altersheim blieb. Ein Nachruf mit biographischen Angaben und einem Foto findet sich auf der Homepage der Frida-Leider-Gesellschaft, nicht aber im Buch. Hat die Bahl das Foto Hitlers auf dem Flügel aus eigener Anschauung gekannt? Gehen die Beziehungen zwischen beiden Frauen bis in diese Zeit zurück? Es ist unverständlich, wie die Autorin, die sich „noch immer als Feministin“ bezeichnet (www.eva-rieger.de), mit dem Andenken an diese Frau, die sich – wie es auf der Seite der Gesellschaft heißt – „unermüdlich um Nachlass und Nachruhm der Künstlerin“ kümmerte, umgeht. Über die Gründe kann nur spekuliert werden (persönliche Erinnerungen an Leider und Bahl von Geerd Heinsen folgen nachstehend).
Bemerkenswert offen wird hingegen ein Detail aus dem Lebenslauf Demans ausgebreitet (S. 39). Als er 29 Jahre alt war, „verliebte sich Prinz Max von Baden, der letzte Kanzler des Kaisers, in den gutaussehenden Geiger“. Es wird ein Brief des Prinzen an einen Freund zitiert: „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was ich empfunden habe in dieser Sache und noch empfinde. Ich wandelte fast wie berauscht umher, und lebe hochgestimmt.“ Seine Frau „verfolge diese Vorgänge mit rührendem Verständnis und Interesse“, schreibt er weiter. Sie habe „vermutlich aus Ahnungslosigkeit die Einladung Demans“ auf den adeligen Landsitz in Salem, wo dieser mehr als ein Vierteljahr verbracht haben muss, gebilligt, mutmaßt Rieger. Kann und will sie sich nicht vorstellen, dass Frauen die Obsessionen und intimen Interessen ihrer Männer verständnisvoll begleiten können? Mit Siegfried und Winifred Wagner ist ein solches Paar auch in ihrem Buch sehr präsent, ohne dass auf diesen Aspekt eingegangen wird. Kurz und gut. Die Beziehung des jungen Deman zum Prinzen endete „nach vier Monaten etwas abrupt… Vermutlich benötigte er einige Zeit, um den homosexuellen Charakter der Zuneigung zu erkennen, und war dann abgereist“, heißt es. Es kann aber auch ganz anders gewesen sein.
Jede Menge Fakten sind der Autobiographie (eigentlich: Erinnerungsbuch) von Frida Leider, „Das war mein Teil“, entnommen, das 1959 bei Herbig erschien und 1981 bei Henschel in der DDR neu herauskam, wobei Passagen über Verbrechen sowjetischer Besatzungssoldaten gestrichen worden waren. Wer sich mit der Sängerin beschäftigt, kennt diese Memoiren, die ihre schriftstellerischen und inhaltlichen Grenzen haben. Nun hat Eva Rieger versucht, Lücken zu schließen. Den Ort der Kindheit in des Kaisers Hauptstadt kennen wir, sehen die kleine Frida vor uns, wie sie „stundenlang mit den Leierkastenmännern von Hof zu Hof“ lief und „mit anderen Kindern zur Musik“ tanzte, „was die Bewohner animierte, mehr Groschen hinunter zu werfen“. Wo aber hat später die weltberühmte Sängerin residiert? In welcher Straße? Steht das Haus noch? Welche Wege ist sie gegangen? Nannte sie ein eigenes Auto ihr Eigen? Nahm sie die Öffentlichen, wie es im Berliner Jargon hieß?
Mehr Atmosphäre hätte dem Buch gut getan. Und es hätte gereicht, nur einmal auf den gesegneten Appetit des Tenorkollegen Lauritz Melchior zu verweisen, der nicht nur dessen Magen, sondern auch Buchseiten füllt. Können keine Gewissheiten herbeigebracht werden, wird vermutet, angenommen und einfach nur geglaubt. Anders ging es wohl nicht. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Materiallage die Veröffentlichung dieses Buch letztlich nicht zwingend rechtfertigt. Mir ist Frida Leider in ihrem Zwiespalt nicht näher gekommen. „Viele Familien sorgten sich um das Leben ihrer Angehörigen an der Front, aber auch daheim fiel die Zivilbevölkerung immer mehr den häufigen Bombenangriffen zum Opfer.“ (S. 165) „In der Bevölkerung herrschte Not wegen des Fehlens von Nahrungsmitteln.“ (S. 161). Solche drögen und simplen Sätze wollen auch gelesen werden. Sie sind nicht dazu angetan, das Buch mit Vorfreude auf das nächste Kapitel zur Seite zu legen.
Angeboten hätte es sich, einen anderen inhaltlichen Ansatz zu wählen und aus den vielen Kritiker-Zitaten einige mit Fotos versehene Rollenporträts zu entwickeln. Und wenn es schon so wenig neues biographisches Material gibt, das den Titel stützt, warum wurden dann nicht ihre Schallplatten vollständig aufgelistet und genauer analysiert? Auch unter kritischen Gesichtspunkten. Sie sind vierzig Jahre nach ihrem Tod der unmittelbarste Zugang zu der Sängerin. Einige Versuche bleiben im Ansatz stecken. Kundrys Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“ wird mit einer nicht näher bezeichneten Aufnahme von Waltraud Meier unter James Levine verglichen (S. 214). Mit welcher? Es gibt mindesten zehn verschiedene Parsifal-Dokumente der Meier, bei denen sie von Levine begleitet wird (Andreas Ommer, Verzeichnis aller Operngesamtaufnahmen, Zeno.org). Knappe Gegenüberstellungen als Brünnhilde mit den Interpretationen dieser Rolle durch Gwyneth Jones, Martha Mödl und Birgit Nilsson laufen auf die Feststellung hinaus, dass die Stimme der Leider „einen stärkeren stimmlichen Reiz“ hatte (S. 219). Es bleibt unerwähnt, dass die Leider nur einige Szenen einspielte, von den genannten Kolleginnen aber jeweils mehrere Gesamtaufnahmen existieren, die ganz andere Schlüsse zulassen. Aus allen Vergleichen geht die Leider als strahlende Siegerin hervor, so auch mit der Arie „Ozean, du Ungeheuer“ aus Webers Oberon. Die Autorin verweist auf eine Untersuchung von Geoffrey Riggs. „Kirsten Flagstad, Lotte Lehmann, Eileen Farrell und Maria Callas waren gleichwertige Konkurrentinnen“, heißt es darin. Keine aber sei „Leiders Zugang ebenbürtig“ (S. 209). Niemand darf besser als die Leider sein, auch die Callas nicht, weshalb nur solche Musikbeispiele gewählt werden, mit denen diese Linie einigermaßen durchzuhalten ist. Alles andere bleibt diskret im Schrank. Interessanten Selbstauskünfte, die schriftlich und gesprochen vorliegen („Die goldene Stimme“/Electrola und Musikalisches Selbstporträt/NDR), werden nur gestreift, nicht näher betrachtet und auf künstlerische Inhalte abgeklopft. Nicht der Erwähnung wert ist ein vom BR gesendetes Fernsehinterview, also wirklich ein wichtiges Dokument. Es scheint der Autorin auch entgangen zu sein, dass sich aus Bayreuth ein von 1934 stammender Probenausschnitt aus der Götterdämmerung mit Leider als Brünnhilde und Max Lorenz als Siegfried in den rasanten Bühnenbildern von Emil Preetorius erhalten hat. Dabei handelt es sich um eines der ältesten Bayreuther Filmdokumente, dessen historischer Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Die Fehlerquote ist auffällig hoch für ein Buch mit 234 reinen Textseiten, einschließlich der Fotos. Was falsch ist, dürfte in den wenigsten Fällen der Flüchtigkeit geschuldet sein. Gerhart Hauptmann (S. 128) mit d statt t im Vornamen und Gustaf Gründgens (S. 149) mit v statt f sind kleine Sünden, wie sie in Schulaufsätzen oder Zeitungsberichten zu finden sind. Für ein Buch aus dem Bereich der Oper ist es peinlich, dass der Tenor Rudolf Schock im Wildschütz „die Hauptrolle“ gesungen haben soll (S. 187). Er gab in der Berliner Inszenierung der Leider den Baron, eine Rolle von vielen, die nicht einmal eine eigene Arie hat. Die Hauptrolle ist der Schulmeister Baculus, der in der Dämmerung statt eines Rehbocks seinen eigenen Esel geschossen hat. Darum dreht sich die ganze Geschichte. Liest denn da niemand mehr drüber? Ernst Legal, der erste Intendant der Berliner Staatsoper nach Kriegsende, soll von 1928 bis 1931 gemeinsam mit dem Dirigenten Otto Klemperer die Berliner Kroll-Oper geleitet haben (S. 178). In den Annalen des Hauses, das nicht mehr existiert, wird er als einer unter vielen anderen Regisseuren geführt. Martha Mödl wurde 1951 nach Bayreuth eingeladen, um neben der Kundry „kleinere Rollen“ zu singen (S. 199). Ihre Aufgabe neben der Kundry bestand aus der Gutrune, die nicht unbedingt die kleinste Aufgabe ist. Sonst nichts. Die Wannsee-Konferenz 1942 wurde nicht von Adolf Eichmann durchgeführt (S. 163). Leitung und Vorsitz hatte Reinhard Heydrich. Eichmann war einer der Teilnehmer und Protokollführer. Lucius Clay war nicht amerikanischer Stadtkommandant (S. 182). Nach der deutschen Kapitulation wurde er stellvertretender Militärgouverneur in der US-amerikanischen Besatzungszone. Von 1947 bis 1949 war er dann selbst Militärgouverneur in der amerikanischen Zone. Er ist als „Vater der Luftbrücke“ in die Geschichte eingegangen. Der Berliner Admiralspalast an der Friedrichstraße, Ausweichquartier der zerstörten Staatsoper, ist heute mitnichten das Haus der Komischen Oper (S. 176). Vielmehr fand die Komische Oper im ehemaligen Metropoltheater an der Behrenstraße ihre Heimat. Deshalb wurde aus dem Admiralspalast das Metropoltheater.
Überhaupt sind einige historische Hintergründe sehr frei bzw. bruchstückhaft dargestellt und kommen beim Leser als halbe Wahrheit an. „Für Westberliner war nach dem Mauerbau das geliebte alte Opernhaus Unter den Linden gesperrt.“ (S. 204). So unhaltbar und schlimm dieser Zustand auch gewesen ist, er endete spätestens mit der Unterzeichnung des Viermächte-Schlussprotokolls am 3. Juni 1972. Von da an konnten West-Berliner wieder jederzeit nach Ost-Berlin reisen. Von 1963 an war dies nur mit Passierschein möglich. Ob die Leider davon noch Gebrauch machen konnte, scheint fraglich (schließlich gab es Oper im Westen reichlich: erst im Theater des Westens, ab 1961 in der neuerbauten Deutschen Oper an der Bismarckstrasse – enthusiastisch angenommen von den Westberlinern und Besuchern aus aller Welt). Auf halbem Weg stecken bleiben die verbitterten Schilderungen einer Berlinerin, deren Namen nicht genannt wird. Sie hatte in der Nazizeit jüdische Mitbürger versteckt und sah sich 1945 nun in einen Topf geworfen mit Nazis, nur, weil sie Deutschland nicht verlassen hatte. „Warum bestraft man nicht Streicher und Ley? Herrn Ribbentrop und Herrn Himmler? Hitler ist tot. Herr Goebbels hat sich umgebracht. Wie Aale schlüpfen sie den Rächern aus dem Netz. Sollen zu guter Letzt nur die kleinen Fische darin zappeln, um vor dem Welttribunal seziert zu werden?“, heißt es in ihrem zitierten Tagebuch (S. 223). Zwingend hätte wenigstens in den Anmerkungen der Zusatz folgen müssen, dass Julius Streicher und Joachim von Ribbentrop 1946 in Nürnberg hingerichtet wurden, während sich Robert Ley in Nürnberg und Heinrich Himmler in Lüneburg ihrer gerechten Strafe durch Selbstmord entzogen. So entsteht der Eindruck, als hätten die Kriegsverbrecher überlebt.
Frida Leider hat Nazideutschland nicht verlassen. Mehrfach kommt die Autorin darauf zu sprechen. Es mangelt nicht an Erklärungsversuchen. Ihr ist das Thema wichtig, es ist das Thema des Buches. Es gab viele Beweggründe für die berühmte Sängerin, nicht in die Emigration gegangen zu sein: ihr Publikum, das sie vergötterte, die Mutter, die unbedingt bleiben wollte, der jüdische Mann, der in der Schweiz fest saß und ihre Unterstützung brauchte, Depressionen und Krankheit, die wohl begründete Furcht vor dem Nachlassen der Stimme, das Vermögen, der Grundbesitz, die Freunde. Die Leider ist mit ihrer Entscheidung nicht allein. Sie teilte sie mit vielen Kolleginnen und Kollegen. Auch wenn sich die Daheimgebliebenen später Vorwürfen ausgesetzt sahen, fünfundsechzig Jahre nach Kriegsende bedarf es dafür keiner Rechtfertigung mehr. Wie an vielen Stellen sehr anschaulich geschildert, verlangte auch das Ausharren in der Heimat Mut und Standhaftigkeit. Es dürfte im Falle der Leider oft genau so unsicher und ungewiss gewesen sein wie Ausreise oder Flucht. Dieser Konflikt ist sehr deutlich und nachvollziehbar herausgearbeitet und gehört zu den Stärken des Buches.
Unglücklich und bemüht wirkt in diesem Zusammenhang allerdings der Hinweis auf die Sängerkollegin Lotte Lehmann (S. 222). Sie sei in dem von Erika und Klaus Mann 1939 publizierten Buch „Escape to Life“ lobend herausgestellt worden, weil sie „den Exilanten die Gewissheit gegeben“ habe, dass der von Deutschland ausgehende Terror nicht „das Deutsche schlechthin“ darstellte. Aufgrund ihrer Emigration habe sie als „sauber“ gegolten und „außerhalb von Deutschland das Wahre und Gute der Heimat repräsentieren“ dürfen. Rieger: „Übersehen wird dabei, dass die Sängerin keineswegs vor den Nationalsozialisten floh, wie sie in ihrer Autobiographie angibt.“ Ihre Motivation sei in „erster Linie Geld“ gewesen usw. usw. Das ist unrichtig: Lotte Lehmann war mit dem jüdischen Bankier Otto Krause-Jakobowitz verheiratet und befand sich in der gleichen Situation wie die Leider. Die Lehmann jedoch zog für sich und ihre Familie ein Leben in den USA aus Gründen des Überlebens vor (vergl. den Bericht der Universität Wien und der Lotte-Lehmann-Akademie sowie im Detail Alan Jefferson „Lotte Lehmann“).
Schwer wiegen die als Zitat vorgetragenen Anwürfe gegen den Dirigenten Hans Knappertsbusch, der auch in Deutschland blieb. Es werden Äußerungen des Musikwissenschaftlers Heinrich Strobel bemüht, der als „jüdisch Versippter“ ähnlich wie Leider unter den NS-Schikanen zu leiden gehabt habe (S. 191). In einem Brief an Verwandte seiner Frau, die offenbar in den USA lebten, heißt es 1949: „Das alte Ober-Nazi-Schwein, Herr Prof. Hans Knappertsbusch … wurde von Euch lieben Amerikanern nach US eingeladen, zweifellos, um den größten aller deutschen Meister, Pg. Wagner zu dirigieren.“ Dazu Rieger: „Richard Wagner als Parteigenossen zu deklarieren, zeigt, wie stark die Verwicklung Bayreuths mit der NS-Politik noch in den Köpfen verhaftet war.“ Das ist alles. Mit dem Zitat von Strobel, das im Kontext seiner Zeit zu sehen ist, ignoriert die Autorin alle späteren Erkenntnisse über die Rolle von Knappertsbusch im Dritten Reich. Er bleibt im Buch der, den Strobel in ihm sah. Und das geht so nicht. Nach Angaben des Wiener Historikers Daniel Hauser, der sich intensiv mit Knappertsbusch beschäftigt, ist der Dirigent dieser Einladung nicht gefolgt. Er habe selbst während der den Amerikanern verübelten „Entnazifizierung nicht geltend gemacht, dass er Verfolgten geholfen habe“. Dies sei erst nach seinem Ableben herausgekommen. Den Nazis sei er suspekt gewesen. Sie hätten ihn deshalb 1934 als Münchner Opernchef abgesetzt. Hauser zitiert den österreichischen Pianisten Paul Badura-Skoda, der von anonymen „Anzeigen und Denunziationen“ sprach, mit denen Knappertsbusch „als verdächtiger Nazi eingereiht“ worden sei. Eva Rieger hat im Vorwort ihres Buches zu Recht darauf hingewiesen, „dass schlichte Schwarzweiß-Erklärungen nicht genügen, um die Widersprüche und Ambiguitäten der Vergangenheit zu begreifen“. Zumindest im Fall Knappertsbusch ist sie dann doch im strengen Schwarzweiß hängen geblieben. (Eva Rieger: Frida Leider – Sängerin im Zwiespalt ihrer Zeit. Mit einem Vorwort von Stephan Mösch. Olms, 2016. 269 Seiten mit 28 Photos. Gebunden, ISBN 978-3-487-08579-1). Rüdiger Winter
Aus Gründen der objektiven Berichterstattung und der deutlichen Trennung von Rezension und subjektiver Erinnerungen haben wir den vorher an diese Rezension angehängten Artikel von Geerd Heinsen zum Toder der Leider-Lebensgefährtin Hilde Bahl als einen eigenen Artikel veröffentlicht. G. H.