Als eine Sache der Ehre sieht es jede auch noch so kleine italienische Stadt an, den großen Söhnen oder gegebenenfalls auch Töchtern des Territoriums die ihnen gebührende Beachtung, sei es mit der Benennung einer Straße oder eines Platzes oder in einer anderen Form zu erweisen. Der Ort Novellara in der Emilia Romagna hat das mit dem Tenor Franco Tagliavini bereits getan, indem es das Theater in der Rocca der Gonzaga in einem feierlichen Festakt nach ihm benannte, nachdem bereits seinem und des Soprans Raina Kabaivanska Lehrerin, dem Sopran Zita Fumagalli, eine neu erbaute Passage gewidmet wurde.
Nun ist knapp fünf Jahre nach dem Tod des Tenors auf Anregung der Stadt auch ein Buch erschienen, mit dem der Sänger geehrt werden und nachfolgende Generationen an ihn erinnert werden sollen. Das Titelbild zeigt ihn in einer seiner wichtigsten Rollen, dem Enzo Grimaldi aus Ponchiellis La Gioconda, den er nicht nur an der Deutschen Oper Berlin, sondern auch, alternierend mit Luciano Pavarotti, in der Arena di Verona sang. Der Untertitel des von Vittorio Ariosi verfassten Bands ist La bella storia di un tenore da Novellara al Metropolitan, letztere zwar eines der berühmtesten Opernhäuser der Welt, aber bei weitem nicht das einzige seiner Klasse, an dem Franco Tagliavini sang. Im Zentrum seines künstlerischen Wirkens stand vielmehr stets die Deutsche Oper Berlin, an die ihn 1965 Lorin Maazel geholt hatte und wo er 1985 seine letzten Vorstellungen hatte. Ein in deutscher und italienischer Sprache verfasstes Vorwort berichtet nach den Grußworten des Kulturverantwortlichen Sergio Calzari und der Bürgermeisterin des Ortes Elena Carletti darüber. Davon und über den Weg von einer Meierei, in der der berühmte Formaggio Reggiano hergestellt wird, in die großen Opernhäuser der Welt auf allen Kontinenten außer Australien berichtet das Buch minutiös. Nach diesem reich bebilderten Teil und einer Sammlung von Ausschnitten aus Rezensionen aus aller Welt befinden sich noch ein Artikel des in Italien sehr bekannten Musikologen Daniele Rubboli, ein Beitrag über das Teatro „Franco Tagliavini“ und ein Anhang mit dem Repertoire, den wichtigsten Partnern, Dirigenten und Opernhäusern mit bzw. in denen der Tenor wirkte.
Der Lebenslauf Franco Tagliavinis kann als Beispiel dafür gelten, welche Bedeutung der Kirchenchor oder andere Chöre auf dem Lande für die Entdeckung von Stimmen zu seiner Zeit hatte, welches Glück man haben musste, einen Lehrer zu finden, der unentgeltlich sich zum Unterrichten junger mittelloser Sänger bereitfand, wie es hier La Signora Fumagalli war. Das Buch zeigt auch, welchen großen Stellenwert die Oper damals in den Dreißigern in Italien hatte, so dass selbst ein Landarbeiter seinen kleinen Sohn ins Theater, wenn auch nur unter die Loggionisten führt, um ihn einen Rigoletto sehen zu lassen. Vergleicht man damit die Lage der Oper im Italien von heute, dann ist man versucht von vergangenen besseren Zeiten zu reden. Probleme von damals und heute sind die des Findens eines für die Stimme geeigneten Repertoires, wenn Tagliavini als erste Partie der heldische Canio, eine Rolle, die er selbst später nie gesungen hat, als Preis eines Wettbewerbs „verordnet“ wurde.
Eindrucksvoll ist der Weg (und ebenso eindrucksvoll wird er beschrieben), den die Karriere nahm, die an alle größeren Bühnen Italiens einschließlich der Scala, in alle europäischen Hauptstädte einschließlich Paris, London und Wien führte, auf die großen Bühne der USA, nach Südafrika und nach Japan mit einem Gastspiel der Deutschen Oper Berlin, während er mit der Scala in Moskau gastierte. Interessant die vielen, sonst nicht zugänglichen Fotos, so eines mit dem belgischen Königspaar, aber auch mit vielen Kollegen zu den verschiedensten Anlässen.
Wie ein Who is Who in the World of Opera liest sich die Liste der Kollegen, angefangen mit Renata Tebaldi über Birgit Nilsson bis zu Raina Kabaivanska, mit der er auch zwei Aufnahmen der RAI, Francesca da Rimini und Adriana Lecouvreur teilte. Eine Liste der Tonaufnahmen ist ebenfalls verfügbar. Ein kleiner Absatz ist dem „anderen“ Tagliavini (obwohl es jetzt mit dem Bass Roberto bereits einen dritten gibt) gewidmet, der dem aufstrebenden Tenor verbieten wollte, seinen eigenen Namen zu benutzen. Damit dürfte auch die Frage nach einer möglichen Verwandtschaft negativ beantwortet sein.
Der Stadt Novellara und den unter „Danksagung“ Genannten, darunter die Gattin Elyane Claustre, kann man zu dem Buch gratulieren, dass nicht nur einen der Ihren ehrt, sondern auch kulturpolitisch interessant ist (125 Seiten Comune di Novellara, Responsabile editoriale Sergio Calzari).
Ingrid Wanja