Ein schöner Mann

 

Auf weißem Grund prangen wie gemeißelt großformatige goldene Buchstaben, der Name Jonas Kaufmanns, dessen Abbild relativ kleinformatig in Schwarz-Weiß-Druck wie verlegen über den Aufwand eines dickleibigen Bildbands zu seinen Ehren die Arme verschränkt und lachend den Blick senkt. Drei Texte gehen den zahlreichen Abbildungen voraus und sind typisch für den Umgang in deutschsprachigen Landen mit dem Starruhm welcher Art auch immer, besonders aber in der Klassik.

Nikolaus Bachler, Intendant in München, wo der Tenor viel singt, rühmt an ihm, dass er die Sehnsucht der Menschen in der heutigen heroenlosen Zeit nach dem wahren Helden stillt, womit er nur bedingt recht hat, denn Kaufmann brillierte gerade auch mit der Darstellung des allzu sensiblen Antihelden wie Werther oder Don Carlo. Er schätzt an ihm das unermüdliche Ringen „um das Wesen seiner Kunst“ und meint, dass dies auch seine Beliebtheit beim Publikum bedinge. Aber würde das Publikum einen 450seitigen Bildband kaufen, wenn der Gefeierte zwar eine ebenso schöne Stimme und künstlerischen Ernst zeige, aber glatzköpfig, dicklich und bebrillt wäre?

Christine Cerletti, die nicht mehr in die Oper geht, weil die moderne Regie sie abschreckt, stieß über die „Wintereise“ und die in ihr eingesetzte Tenorstimme auf das Phänomen Kaufmann und entschloss sich wegen der Stimme, nicht nur Mäzenin, sondern auch Mitarbeiterin am vorliegenden Werk zu werden.

Thomas Voigt, Biograph Kaufmanns, lobt die Wandlungsfähigkeit seines Künstlers, der nie in Routine erstarre.

Nicht einer der Drei erwähnt, dass Jonas Kaufmann ein ungewöhnlich schöner, charmanter, Sexappeal ausstrahlender Mann ist, dass zunächst einmal aus diesem Grund Hunderte von Fotos für den Betrachter sehenswert sind und danach, je nach Betrachter mehr oder weniger, die sich in ihnen demonstrierende Wandlungsfähigkeit. In Italien geht man mit la bellezza unbefangener um, überbetont ihre Bedeutung vielleicht, verschweigt sie aber nicht, wie es hier in allen drei Beiträgen geschieht. Wer sich auf Youtube  „Parla più piano“ aus der Mailänder Scala ansieht, wird verstehen, woraus auch sich der Ruhm des deutschen Tenors nährt, was keine Schande ist und deshalb auch nicht verschwiegen werden sollte.

Die Artikel und Bildunterschriften gibt es in Deutsch und Englisch, Eine Bilderreise oder A Picture Journey lautet der Untertitel und nimmt den Leser, dem allerdings nur ein englisches Inhaltsverzeichnis geboten wird, mit durch einen Band wunderschöner Fotos, mal nach Komponisten geordnet (Mozart, Verdi, Puccini, Verismo, Wagner, französisches Repertoire, deutsches Repertoire), mal nach Situationen (Proben, Aufnahmen, Tourneen), mal nach Gattungen (Lied). Auf den Fotos findet sich bestätigt, was von Thomas Voigt behauptet wurde: die enorme Wandlungs- und Ausdrucksfähigkeit des Sängers, der auch nicht davor zurückschreckt, dem intensiven Ausdruck die Schönheit zu opfern. Am bewegensten sind die Abbilder des nachdenklichen, versonnenen, in die Musik versunken erscheinenden Jonas Kaufmann, aber jeder glückliche Besitzer des Buchs wird sich seine Lieblingsbilder aus dem unermesslich gehaltvollen Schatz zusammenstellen (Verlag für moderne Kunst 2019; 450 Seiten, ISBN 978 3 903269 75 0  ). Ingrid Wanja