Der schönste Mann des deutschen Films

 

Eine Retrospektive in Berlin & ein neues Buch aus Wien: Wohlbrück oder Walbrook? Adolf oder Anton? Wie auch immer man ihn nennt, der unter zwei Namen bekannte Schauspieler war einer der schönsten Männer in der deutschsprachigen Filmindustrie der 1930er Jahre und machte eine prächtige Filmoperette nach der anderen. Als sich der Nazi-Terror verschlimmerte, wanderte er nach England aus, änderte seinen Namen und hatte eine zweite Filmkarriere, die zu Klassikern wie The Red Shoes führte, aber auch zu der wunderbaren Fledermaus-Adaption Oh … Rosalinda! Im Juli ehrte das Berliner Zeughaus-Kino in Berlin Adolf Wohlbrück bis zum 26. August 2020 mit einer umfassenden Retrospektive. Gleichzeitig erschien ein 120-seitiges Buch mit dem Titel Wohlbrück & Walbrook: Schauspieler, Gentleman, Emigrant bei Synema Publikationen Wien (ISBN 978-3-901644-84-9, 120 Seiten, 60 Fotos) mit einem hervorragenden Artikel von Frederik Lang und schönen Fotos.

„Wohlbrück oder Walbrook“ bei Synema Publikationen Wien (ISBN 978-3-901644-84-9)

Walbrook/Wohlbrück war auf vielen Ebenen eine faszinierende Figur. In erster Linie ist er natürlich ein brillanter Schauspieler, der seinen vielen prahlerischen unbekümmert-sorglosen Rollen, darunter Sándor Barinkay im Zigeunerbaron, einen einzigartigen Charme verlieh. Er singt nicht in diesem Film, aber er ist immer noch ein perfekter Operettenheld, der Legenden wie Henry E. Dixey leicht beschämen kann. Der Zigeunerbaron ist seltsamerweise nicht Teil der Berliner Retrospektive, Oh … Rosalinda! gleichwohl schon. Letzteres wurde kürzlich zum ersten Mal auf DVD veröffentlicht, aber es ist ein einzigartiger Nervenkitzel, es auf einer großen Leinwand zu sehen.

An Wohlbrück erinnert man sich im allgemeinen nicht seines Gesanges wegen, sondern wegen seines auffallend guten Aussehens, seines frechen Schnurrbarts und seines liebenswürdigen Spiels. Das machte ihn zu einem idealen Hauptdarsteller in Operetten, weil er seine Rollen mit einem ständigen Augenzwinkern spielen konnte. So in der Korngold-Adaption von Leo Falls Die geschiedene Frau neben Lucie Mannheim mit „Man steigt nach“ zu hören. Man vernimmt ein perfektes Operetten-Parlando und einige wunderbar subtile „queere“ Anspielungen des schönen Addi.

Diese diskreten Andeutungen machten ihn 1933 ideal für Filme wie Viktor und Viktoria. Ein Jahr später sah man ihn in Oscar Straus‘ Eine Frau, die weiß, was sie will (nein, ohne Fritzi Massary.) Und ein weiteres Jahr später gibt es den Zigeunerbaron mit Wohlbrück als Sándor Barinkay. Es ist eine Filmfassung mit wenig Strauss-Musik, aber eine Version, die beweist, dass Operettengeschichten durchaus lohnende Filme nach sich ziehen können. Weil es nicht nur um die Musik geht, sondern auch um die Handlung. Etwas, was moderne Produzenten regelmäßig vergessen.

Adolf Wohlbrück in „Der Kurier des Zaren“, 1935/ Schwules Museum Berlin

Die Fledermaus-Version von 1955 mit dem Titel Oh … Rosalinda! ist eine Klasse für sich, was die Verfilmung dieser Strauss-Operette betrifft. Da die Regisseure – Produzenten Michael Powell und Emeric Pressburger die Geschichte nicht bloß einfach modernisiert haben, sorgten sie vielmehr dafür, dass ihre Aktualisierung der Nachkriegsjahre Wiens unter sowjetischer Besatzung bis ins kleinste Detail funktioniert. Es ist ein witziger, allumfassender Operettenfilm mit Wohlbrück als Schwarzmarkthändler Dr. Falke neben Michael Redgrave als Eisenstein und Anneliese Rothenberger als Adele. Sie sind alle hervorragend, ebenso wie Ludmilla Tcherina als Rosalinda.

Das neue Buch bzw. der neue Katalog zur Ausstellung möchte eine Spurensuche durchführen. Und neben der politischen Dimension seiner Karriere und seines Lebens als Auswanderer gibt es auch den Aspekt der Homosexualität des deutschen Film-Beaus: Inwiefern hat dies seinen Anteil an allem? Wie konnte er unter den damaligen Umständen ziemlich offen so leben und es gleichwohl aus den Nachrichten heraushalten? Welche Rolle spielte das in seiner Karriere? Einige Antworten gibt es im neuen Buch, das auch eine kommentierte Filmografie enthält. Und diese Filmografie ist wirklich expansiv und beeindruckend.

Die Zeughaus-Retro in Berlin zeigt(e) den berühmten Walzerkrieg (1933) von Ludwig Berger, die Maskerade (1934) von Willi Forst und Die vertauschte Braut (1934) von Carl Lamac (der auch den Film Im weißen Rössl drehte). Es gibt den frühen Wüstenrausch (1923) von Géza von Bolváry und das einflussreiche Viktor und Viktoria (1933) von Reinhold Schünzel.

Adolf Wohlbrück als Barinkay in „Zigeunerbaron“ 1935/ Foto Zeughauskino/ORCA

Auch die britischen Filme werden berücksichtigt, von Gaslight (1940) von Thorold Dickinson bis zu Victoria the Great (1937) von Herbert Wilcox und späten Filmen wie Saint Joan (1957) von Otto Preminger und L’Affaire Maurizius (1954) von Julien Duvivier. Es GIBT  auch einen Dokumentarfilm aus dem Jahr 1989 aus DDR mit dem Titel Der Schatten des Studenten, ein Hinweis auf den berühmten Student von Prag.

Das neue Buch/der neue Katalog kann übrigens nicht über Amazon gekauft werden (der Wiener Verlag SYNEMA – Gesellschaft für Film und Medien proklamiert „Entschuldigung, wir machen kein Amazon!“).  Das gesamte Projekt wird vom Berliner Hauptstadtkulturfonds gefördert. Und 1997 präsentierte das Schwule Museum in Berlin eine der ersten Ausstellungen zu Adolf Wohlbrück mit dem Titel Der schönste Mann des deutschen Films – Hommage an Adolf Wohlbrück, betreut von Wolfgang Theis. Es ist höchste Zeit für ein Update! Sam Uptoun/ Übersetzung Daniel Hauser (Foto oben Publicity-Foto Tobis-Cinema-Film-AG aus den 1930ern)