Albern

 

Was erwartet der bildungswillige Leser von einem Buch mit dem Titel Die Braut des Holländers – Berühmte Frauengestalten in der Oper? Wahrscheinlich eine kurze (!) und korrekte  (!) Inhaltsangabe, die Beschreibung der Art der literarischen und vor allem der musikalischen Charakterisierung durch den Librettisten und Komponisten, das Ziehen von Verbindungslinien zu eventuellen historischen Vorbildern, wohl auch den Hinweis auf berühmte Gestalterinnen der jeweiligen Partie. Als selbstverständlich darf der Leser auch eine einwandfreie sprachliche Gestaltung des Textes erwarten sowie eine Sprachebene, die der Bedeutung des Gegenstandes angemessen ist.

Was aber offeriert Wolfgang Seidel mit seinem Buch? Seine den einzelnen Opernheroinen gewidmeten Kapitel bestehen zum allergrößten Teil aus reinen, durchaus nicht immer korrekten Inhaltsangaben, verzichten weitgehend auf eine Darstellung der musikalischen Gestaltung, schwanken sprachlich zwischen Hoch-, Umgangs- und Gossen-oder Jugendsprache, letztere wohl der Versuch, sich bei einem jugendlichen Publikum anzubiedern, als „modern“ zu gelten, und wissen außer der  Callas keine Interpreten zu nennen.

Der sich einem wie auch immer gearteten Publikum anbiedern wollende Stil meint, dass Elektra „ihr Ding schließlich durchzieht“, dass am Schluss der Oper „Friede, Freude, Eierkuchen“ herrschen (was nicht einmal zutrifft), Elektra „verfilzt“  und „von Kopf bis Fuß auf Rache eingestellt“ ist. Immer wieder werden so unpassende Vergleiche mit der Gegenwart konstruiert, so wenn Agrippina mit Aenne Burda, Scarpia mit Harry Weinstein, Orlando mit Harry Potter in eine Reihe gestellt werden.  Gern widerspricht sich der Autor auch selbst, so wenn er einmal meint „und so geht es (mit Morden) bei den Atriden weiter“, dann aber der bereits erwähnte Eierkuchen.

Nicht glücklicher gelingen andere, oft in neckischem Tonfall gezogene Vergleiche , so der von Angela Merkel mit Dido, die auch freundlich Flüchtlinge aufnahm, und weder Senta, noch Isolde noch Brünnhilde können als Muster der Gattinnentreue angeführt werden, da Senta noch nicht verheiratet war, Isolde ihren Gatten betrog und Brünnhilde den ihren ( Gunther) nicht liebte. Nicht einmal die zeitlichen Zuordnungen stimmen, wenn das 19.mt dem 20.Jahrhundert verwechselt , Klassizismus mit Sturm und Drang gleichgesetzt wird. Auch in Kleinigkeiten sollte jemand, der sich als Opernkenner ausgibt, korrekt sein und nicht  Desdemonas Mutter mit deren Dienerin verwechseln.

Rigoletto bzw. seine Tochter Gilda ist ein typisches Beispiel dafür, was der Autor alles falsch machen konnte: So verlangte der Duca von seinen Höflingen nicht, dass sie Gilda entführen, landete er nicht in ihrem Schlafzimmer, sondern sie in seinem, ist es albern, vom harten lockdown, der Kirche als Dating-Hotspot zu schreiben, Quatsch zu behaupten, im 19.Jahrhundert dürften höhere Töchter nur in die Kirche und sonst nirgends hingehen. Und sogar „vom Federbett zum Leichensack“  als Untertitel stimmt nicht, denn in Mantua begnügte man sich auch im Winter mit einer leichteren Zudecke.  Etwas besser und interessanter wird es mit dem Bezug zu Hugos L’Roi s’amuse“, ehe man sich über die Behauptung  ärgern muss, dass Verdi die „Schauerromantik“ suchte, und Putin wie Erdogan bemüht werden.

Es wimmelt einfach von Falschem, Ungenauem, Peinlichem, so  der Behauptung, zur Zeit von Così fan tutte seine 99% aller Ärzte Scharlatane gewesen,  Alfonso kündige an „eines Tages“ würden Fiordiligi und Dorabella ihre Liebhaber betrügen ( es heißt innerhalb eines Tages), Monostatos Pamina und Tamino gefangen nimmt. Brünnhilde, „die ja auch in keinster Weise von dieser Welt ist“, aber sich dann doch zur „Vollfrau“ mausert, wird sich in dieser Charakterisierung wiedererkennen. Und Athene ist nicht die Kriegsgöttin, sondern die Göttin der Weisheit.

Man könnte noch seitenlang Stilblüten und einfach falsche Aussagen aufführen, sich darüber auslassen, dass höchstens mal vom „donnernden Klang des Orchesters“ in Lucia di Lammermoor“ die Rede ist oder es heißt, das „Riesenorchester schwingt nur noch sehr verhalten vor sich hin“ (Rosenkavalier)  , sonst aber kaum über die Musik referiert wird, ein wüster sprachlicher Mischmasch das gesamte Buch durchzieht, und auch das Fazit, dass der Autor aus dem freizügigen Verhalten Carmens zieht, nicht erfreuen kann: „Sie erleidet deswegen aber auch noch ein Schicksal“. Selbst einem Gebäude ergeht es übel, denn Octavian  „fährt…vor dem vor Aufregung zitternden Haus der Faninals vor.“ Auch in dieser Oper muss noch einmal die baldige Ex-Kanzlerin ran: Merkel. Aber: „Poppt nicht auf.“ Übrigens ist der Ochs nicht eine Bariton-, sondern Basspartie.

Norma lässt den Autor noch einmal zu Höchstleistungen auflaufen, wenn in sechs Zeilen alle Weltreligionen abgehandelt werden und es auch historischen Epochen nicht anders ergeht. Schließlich bekommt auch noch Senta, die Titelhedin, als „ichschwach“ ihr Fett ab, was der Rezensentin die Lust nahm, sich auch noch mit Violetta oder Tosca zu befassen oder dem, was der Autor aus ihnen gemacht haben mag.

Biographien der Komponisten bilden das letzte Drittel des Buches, das leider ganz ohne Bebilderung auskommt (290 Seiten; 2021 Faber & Faber; ISBN 978 3 86730 217 3). Ingrid Wanja