Dieses Buch ist schnell gelesen. Nicht nur, weil es lediglich 163 Seiten umfasst. Die als „Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ annoncierte Neuerscheinung des Seifert Verlages verharrt über weite Strecken in der numerischen Dokumentation ihrer Auftritte und der entsprechenden Kritiken in der Presse (ISBN 978-3-902924-64-3). Die Quellenlage ist mau und trocken. Sie reicht nicht für eine informative Biographie. Erst zum Schluss hin, wenn die lesbischen Neigungen der Sängerin anhand von Briefen zum Thema werden, bekommt das Buch auch eine sehr menschliche Dimension. Dann ist es aber schon zu Ende.
Autor Peter Sommeregger beklagt im Vorwort den „Tiefstand“ der Gesangsleitungen „in unserer Zeit“, bemängelt die „künstlerische Kompetenz nicht weniger Opernintendanten bzw. ihrer Besetzungsbüros“, holt zum Rundumschlag gegen Künstleragenturen aus, die „als rein kommerziell geführte Unternehmen wenig Interesse an einer kontinuierlichen Entwicklung ihrer Künstler haben, diese vielmehr möglichst schnell für große Aufgaben empfehlen und so gut an ihnen verdienen“ und knöpft sich schließlich auch noch jene Gesangspädagogen vor, die „selbst Sänger waren, aber erhebliche technische Defizite“ gehabt hätten. Vor dem Hintergrund dieser Schimpftirade
nun steigt die Siems als leuchtendes Beispiel aus den Tiefen der Vergangenheit herauf. Sie wurde 1879 in Breslau geboren und ist 1952 in Dresden, der Stadt ihrer größten Erfolge, gestorben, „sanft in eine bessere Welt“ hinübergeschlafen. Sie gebot über eine phänomenale Technik, die es ihr gestattete, an der Uraufführung dreier Opern von Richard Strauss mitzuwirken – als Chrysothemis in Elektra (1909), als Marschallin im Rosenkavalier (1911) und als Zerbinetta in der ersten Fassung der Ariadne auf Naxos (1912). Ihr Nachruhm dürfte nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein. Denn diese Uraufführungen waren spektakuläre Ereignisse. Ob mit oder ohne Siems.
Vergleichsweise zahlreiche Plattenaufnahmen haben sich erhalten, darunter Szenen aus dem Rosenkavalier. Der Autor verzichtet allerdings auf eine kommentierte Diskographie, die das Buch brauchbarer und wichtiger gemacht hätte. Es gibt lediglich als Fußnote den Hinweis auf einen CD-Anbieter, der sämtliche Titel über das Internet vertreibt. Bei den großen Netzanbietern und im Handel sind aktuell keine CDs verfügbar. Sammler kennen die Dokumente und rühmen sie. Bei aller Faszination, die davon ausgeht, wird aber auch schnell klar, dass sich daraus kein praktischer Nutzen für die Gegenwart ziehen lässt, genau so wenig, wie man angehenden Schauspielern nicht mehr Gustaf Gründgens oder Architekturstudenten das Colloseum in Rom wird vor die Nase halten können. Seit den großen Tagen der Siems sind mehr als hundert Jahre vergangen. Sie ist Geschichte geworden. Und nur noch als historisches Ereignis zu begreifen. Insofern wird sie nicht dadurch wichtiger für die Gegenwart, indem dieser ein etwas trüber Spiegel vorgehalten wird, der zudem Zerrbilder produziert (Foto oben: Margarethe Siems als Strauss´Marschallin/ Porträtsammlung Manskopf der Bibliothek der Goethe-Universität Frankfurt am Main). Rüdiger Winter