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Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt. Das Lied von 1833 hat bis heute nichts von seiner Popularität eingebüßt. Und als sich Nena und Heino seiner annahmen, ist es sogar zum Schläger mutiert. Einst gehörte es zur Aussteuer singender Studenten und der Wandervogelbewegung. Kein Chor, der es nicht im Repertoire hat. Der Text stammt von Joseph von Eichendorff, die Musik von Friedrich Theodor Fröhlich. Er soll sich an einer viel älteren Vorlage unbestimmter Herkunft orientiert haben. Die Melodie ist eingängig. Einmal gehört, vergisst sie sich nicht wieder. Wer war dieser Fröhlich? Er wurde am 20. Februar 1803 im schweizerischen Brugg geboren und schied am 16. Oktober 1836 in Aarau freiwillig aus dem Leben. Lange verkannt, wird er heute „als der bedeutendste Schweizer Komponist der Frühromantik angesehen“, ist sich Johannes Vigfusson, Präsident der Internationalen Friedrich Theodor-Fröhlich-Gesellschaft sicher. Ein Beleg dafür ist auch die wachsende Zahl von Einspielungen. Eine Neuerscheinung als CD-Premiere ist bei Hänssler Classic herausgekommen. Es handelt sich um den Liederzyklus Johannes und Esther nach Versen von Wilhelm Müller, jenem Müller, der auch die Vorlagen zu Müllerin und Winterreise von Schubert dichtete. Ian Bostridge wird von Julius Drake begleitet (HC 23010).
Vigfusson hat einen Text mit biographischen Angaben für das Booklet beigesteuert. Bereits im Kindesalter habe Fröhlich eine starke Begabung für Musik gezeigt, nach dem Besuch des Gymnasiums in Zürich 1822 in Basel und 1823 in Berlin ein Jurastudium begonnen, das ihn aber nicht zu fesseln vermochte. „In Berlin knüpfte er Kontakte zu den Musikpädagogen Carl Friedrich Zelter, Bernhard Klein und Ludwig Berger. Diese Begegnungen bestätigten ihn darin, sich ganz der Musik zu widmen.“ Nach einer durch Krankheit bedingten Rückkehr und zweijährigem Aufenthalt in Brugg sei der Dreiundzwanzigjährige 1826 wieder nach Berlin gegangen, diesmal mit einem Stipendium der Aargauer Kantonsregierung, um dort seine Studien der Komposition fortzusetzen. In Berlin folgte nach Angaben von Vigfusson eine reiche Schaffensperiode. Zahlreiche Lieder und Chöre, drei Streichquartette, unter anderem auch eine Ouvertüre und eine Sinfonie seien entstanden. Einige seiner Liedersammlungen wurden in deutschen Verlagen veröffentlicht. Dennoch habe es ihm nicht recht gelingen wollen, sich in Berlin eine unabhängige Existenz als Musiker aufzubauen. Vigfusson: „Voller Hoffnung auf einen fruchtbaren Boden für seine kompositorische und musikpädagogische Arbeit kehrte er 1830 in die Schweiz zurück. In Aarau erhielt er an der Kantonsschule eine Teilzeitstelle als Musiklehrer. Daneben leitete er Chöre und ein Liebhaberorchester und erteilte Privatunterricht. Neben dem ermüdenden Brotberuf widmete er die spärliche Freizeit dem Komponieren, und es entstanden hochbedeutende Werke, die bei Rezensenten begeisterten Anklang fanden. Künstlerische Vereinsamung und die mangelnde Beachtung durch Verleger und Publikum nährten aber in ihm eine zunehmende Mut- und Hoffnungslosigkeit.“ Zusätzliche finanzielle Sorgen und private Probleme hätten schließlich dazu geführt, dass er sich das Leben nahm. Die große Anzahl handschriftlicher Kompositionen seien in privater Verwahrung rasch in Vergessenheit geraten, doch mehrheitlich erhalten geblieben.
Der Zyklus Johannes und Esther, der von Müller mit der Bemerkung „Im Frühling zu lesen“ versehen wurde, ist 1821 erstmals im Druck erschienen – und zwar in einem Sammelband gemeinsam mit Müllerin und Winterreise. Nicht vertont wurde das abschließende Gedicht An Johannes, weshalb es auch im Booklet weggelassen wurde. Gelesen hätte man es schon gern. „Die neun dazwischenstehenden Gedichte sind Johannes in den Mund gelegt. Sie handeln von den inneren Nöten, die eine (damals unerlaubte) interkonfessionelle Liebesbeziehung zwischen einem Christen und einer Jüdin verursachte“, so Vigfusson. Das angespannte Verhältnis der Religionen hätte Müller seit seiner Kindheit in Dessau beschäftigt, wo sein Elternhaus gegenüber einer Synagoge gestanden habe. Es sei aber nicht mit Sicherheit bekannt, ob er in Johannes und Esther auch eigene Erlebnisse oder die eines Jugendfreundes verarbeitet habe. Für beides gebe es Hinweise.
Leider lässt die Interpretation durch den englischen Tenor Ian Bostridge nicht erkennen, warum er sich ausgerechnet dieses Werkes angenommen hat. Es gibt auch im Booklet keinen Hinweis darauf. Er ist für seine enge künstlerische Bindung an deutschsprachiges Liedgut bekannt. Wilhelm Müller ist ihm in den Vertonungen durch Schubert bestens vertraut. Der Musikwissenschaftler in ihm befindet sich stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen. So war der Weg in die Schweiz zu Fröhlich wohl nicht weit. Ich hätte mir eine schlichtere Darbietung gewünscht, die auch den Text und damit die spannende Geschichte deutlicher hervortreten lässt. Rüdiger Winter