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Hätte er doch auf Holzhammer plus erhobenen Zeigefinger in Form von orangefarbenen Schwimmwesten und buntkarierten Plastetaschen und damit auf eine plumpe Aktualisierung verzichtet, dann wäre Simon Stone eine rundum gelungene Inszenierung von Bohuslav Martinǔs Oper The Greek Passion vollauf gelungen. So aber bleibt ein schaler Beigeschmack, wenn nicht Vergleichbares mit einander verglichen, wenn Geschichtsverfälschung zugunsten von Agitprop betrieben wird und von vornherein Gut und Böse kontrastreich einander gegenüber gestellt werden mit einer frömmelnden Gruppe kalkgesichtiger, einförmig kalkweiß gekleideter kinderloser Pseudofrommer gegen eine farbenfroh gewandete ( Kostüme Mel Page) und von einer fröhlichen Kinderschar umgebene Schar freundlicher Schutzsuchender.
Um was geht es eigentlich in Nikos Kazantzakis‘ Roman Christus wird wiedergekreuzigt, der die Grundlage für das Libretto für Martinus Oper darstellt? Es handelt sich um die nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zerfall des Osmanischen Reiches stattgefunden habenden Umsiedlungen von Moslems in die türkischen und von Christen in die griechischen Gebiete, nachdem besonders die Türken bereits einen großen Teil der Christen vertrieben, die Armenier sogar fast ausgerottet hatten. Es kommen also nicht vorwiegend junge Männer mit vorwiegend nicht christlichem Glauben und teilweise befremdlichen Sitten, sondern Menschen, die sich in nichts außer dem Verlust ihrer Heimat von den bereits Ansässigen unterscheiden. Trotzdem entfacht sich der Zorn der Ansässigen, die gerade ein Passionsspiel einzustudieren, an der Tatsache, dass sich einige von ihnen für die Zugezogenen einsetzen, ihnen ihr Vieh (Esel, Zicklein und Lämmlein erfreuen mit ihrem Anblick den Zuschauer) schenken, und einige von ihnen gehen so weit, den Fürsprecher für die Fremden, der seine Rolle als Jesus so sehr verinnerlicht hat, dass er für diese eintritt, zu erschlagen. Die Flüchtlinge ziehen weiter, zwei Frauen, die Geliebte des Ermordeten und ihre Freundin, bleiben trauernd bei dem Leichnam zurück. Ein böses blutrotes „Refugees out“ bleibt als Zeugnis der Unmenschlichkeit auf der weißen Mauer stehen.
Die Oper wurde vom in die USA geflüchteten und nach dem Krieg in der Schweiz lebenden Komponisten zunächst für London geplant, eine überarbeitete Fassung 1959 fertiggestellt und 1961 posthum in Zürich von seinem Freund und Gönner Paul Sacher uraufgeführt. Sie war so erfolgreich, dass zahlreiche Aufführungen in Europa und den USA folgten.
Bei den Salzburger Festspielen des Jahres 2023 galt die Aufführung in der Felsenreitschule als der Höhepunkt einer ansonsten eher mit negativer Kritik bedachten Saison. Der genius loci des Orts wird allerdings wenig genutzt, nur die obersten Arkaden schauen oberhalb einer riesigen weißen Kiste hervor, die man in die Tiefe fahrend verlassen oder aus der man auch sonst durch allerlei kleine Pforten gehen und in sie kommen kann ( Bühne Lizzie Clachan). Die Szene kann auch, um Stimmungen zu vermitteln, in ein romantisches Blau oder eine andere Farbe getaucht werden.
Hervorragend ist das Ensemble, das sich mit wahrnehmbarer Hingabe seiner Aufgabe gewidmet hat. Gábor Bretz ist mit seinem Falschheit verschleierndem machtvollem Bass der Priest Grigoris, sein Gegenpol bei den Flüchtlingen ist Fotis, der von Lukasz Golinski mit prachtvollem Bariton und viel Charisma ausgestattet wird. Jesusdarsteller und Opfer des Fremdenhasses ist Manolios, dem Sebastian Kohlhepp eine Sympathie weckende Darstellung und einen strapazierfähigen Tenor zuteil werden lässt. Mit einer zwingenden Darstellung und einem technisch versierten Tenor lässt Charles Workman dem gütigen Yannakos Aufmerksamkeit zukommen. Eine frappierende, die Zuneigung der Zuschauer erzwingende Bühnenpersönlichkeit besitzt Sara Jakubiak für die Katerina, deren Sopran aus einem Guss ist, auch im Forte weich und im Piano farbig bleibt. Ihre Freundin und zeitweise Nebenbuhlerin ist Lenio, die Christina Gansch mit einem einen lieblichen Sopran zum Bühnenleben erweckt. Viele kleinere Partien sind ebenfalls rollengerecht und unverwechselbar besetzt. Maxime Pascal und die Wiener Philharmoniker bringen Sakrales wie Volkstümliches, individuelles Gefühlsleben wie die Massen Bewegendes gleichermaßen stilsicher und bewegend zu Gehör . Ein Sonderlob verdienen die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor. Videodirektor Davide Mancini lässt Individuelles zur Freude des DVD-Betrachters hervortreten und setzt ebenso die Volksmassen ins rechte Licht (Unitel 811104). Ingrid Wanja