Solide Höllenfahrt

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Gerade mal fünf Jahre ist es her, dass zum Jubiläumsjahr 2019 eine Fülle von Aufnahmen der Werke von Héctor Berlioz „ausgegraben“ wurde und erschien. Nun haben das London Philharmonic Orchestra & Choir mit dem Mitschnitt einer Aufführung in der Southbank Centre’s Royal Festival Hall im Februar 2023 eine grundsolide Aufnahme der Oper La damnation de Faust vorgelegt. Das Werk ist bekanntlich eine Mischung aus Chor-Sinfonie, Oratorium und Oper, sodass man auf eine Szenerie getrost verzichten kann.

Schon beim ersten Hören fällt die hohe Qualität des London Philharmonic Choir auf (Einstudierung: Neville Creed). Er löst seine vielfältigen Aufgaben mit perfekter Ausgewogenheit, besonders im Schlusschor sowie in den Herrenchören wie dem Chor der Trinker und den Chören der Soldaten und der Studenten. Im Osterchor zeichnen ihn Jubeltöne aus, während Fausts Traum im 2. Teil gibt es ausgesprochen sanfte Tongebung und gewaltige Wildheit im Choeur de damnés et de demons. Der US-amerikanische Tenor John Irvin lässt als Faust wie selbstverständlich höhensichere, heldische Töne hören, hat aber auch schöne lyrische Passagen vorzuweisen, wie z.B. im 3.Teil in der Arie Merci, doux crépuscule und im großen Solo, bevor es in die Hölle geht. Sehr flexibel führt der englische Bariton Christopher Purves seinen markant charakterisierenden Bariton durch die Partie des Mephistopheles, wobei die Höhen manchmal verengt klingen. Auffällig ist die ruhige, lyrische Stimmführung, wenn er Faust in den Schlaf versetzt, in dem ihm dann Marguerite erscheint, und die glanzvolle Virtuosität der Sérénade. Voll timbriert und durchschlagskräftig ist der Mezzosopran von Karen Cargill; obwohl die Schottin ihre Stimme nicht durchweg abgerundet zu führen weiß, gefällt sie mit Marguerites träumerisch verhalten interpretierten Chanson gothique Le roi de Thulé und der Romance zu Beginn des 4.Teils. Jonathan Lemalu ergänzt sicher als Brander mit bassgrundiertem Timbre seines Baritons.

Das London Philharmonic Orchestre unter seinem souveränen Chefdirigent Edward Gardner zeigt hohes Niveau in allen Gruppen, wenn es die bei Berlioz häufigen Farbwechsel in immer wieder faszinierender Instrumentierung erklingen lässt, wie im effektvollen marche hongroise und in der rasanten Höllenfahrt  (LPO-0128, 2 CDs). Gerhard Eckels