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Extrempuristen mögen ihn in Anlehnung an den ebenfalls verunglimpften Salontiroler als Salonneapolitaner bezeichnen, aber Sänger wie Publikum lieben Francesco Paolo Tosti gleichermaßen, von ersteren besonders die Tenöre, von denen besonders Di Stefano, José Carreras oder Carlo Bergonzi Zeugnisse ihrer Zuneigung hinterlassen haben. Eher dem Salon als dem Neapolitaner zugeneigt zeigt sich Javier Camarena, denn der seine ist ein tenore di grazia und in seinem Zugriff auf die Canzoni recht weit entfernt von dem naturstimmennahen Giuseppe Di Stefano.
Die vom Mexikaner ausgewählten, zum Teil sehr, zum Teil weniger bekannten Canzonen stellen an den Beginn der CD die Quattro Canzoni d’Amaranta, die eigentlich für einen Mezzosopran komponiert wurden und mit dem Schicksal einer der vielen Geliebten des Dichters Gabriele D’Annunzio verbunden sind, mit dem der wesentlich ältere Tosti, beide stammten aus den Abruzzen, befreundet war. Es handelt sich um die Contessa Giuseppina Mancini, die wie die weitaus berühmtere Eleonora Duse vom Dichter verführt und dann verlassen wurde, im Unterschied zur Schauspielerin aber nach dem Treuebruch D’Annunzios in Wahnsinn verfiel, dem Ex-Geliebten damit wie so viele andere Material für sein künstlerisches Schaffen liefernd. Camarena nimmt sich der vier Lieder nicht mit einem in schönen Farben prunkenden und deshalb entzückenden Tenor an, sondern mit einem hoch kultivierten, technisch perfekt geführten und allen feinsinnigen Intentionen gehorchenden in der Tradition eines Tito Schipa. Er hat einen wunderschönen Schwellton für „pianto“ im ersten, einen zu Herzen gehenden Sehnsuchtsruf auf „O notte“ und eine strahlende Höhe für „il sole eterno“ im zweiten Track. Für „Invan preghi“ steht ihm die Klarheit der Stimme zur Abmilderung der Schwüle des Textes zur Verfügung, und die „ombra infinita“ der abschließenden Canzone atmet eine schöne Melancholie. Bereits inhaltlich in einem starken Kontrast dazu steht ein ebenfalls von D’Annunzio stammender Text, das im neapolitanischen Dialekt verfasste „‘A vucchella“, dessen gewollt schlichte Naivität auch vom Pianisten Ángel Rodriguez wunderbar getroffen wird.
Francesco Paolo Tosti war nicht nur Komponist, sondern auch Tenor und musikalischer Erzieher für italienische und englische Prinzessinnen, so zwei Töchter der Königin Victoria. So ist es nicht verwunderlich, dass er während langer Aufenthalte in London auch englische Texte vertonte. Die allerdings üben einen weit geringeren akustischen Zauber aus als die italienischen und französischen. In Because of you gefällt allerdings die reiche Agogik, in The first Waltz die rhythmische Gestaltung. Die französischen Mélodies bezaubern durch tatsächliche Eleganz und scheinbare Schwerelosigkeit des Singens.
Zu den populärsten Canzonen gehören Malia mit zauberhaften „ninfa“ und „fata“, Aprile, der für den Italiener der deutsche Mai, das heißt der Frühlingsmonat, ist und wo der Tenor ebenso wie in Sogno sich als besonders feinsinniger, allen Gefühlsregungen nachspürender Interpret zeigt. L’ultima canzone schließlich weiß dolcezza und amarezza aufs Schönste miteinander zu vereinen.
Vom Pianisten für Piano arrangiert wurde Marechiare, in dem Stimme wie Piano Lebensfreude versprühen und genüsslich ausgekostet werden, in der abschließenden Chitarrata abruzzese kann der Tenor noch einmal alle seine Vorzüge unter Beweis stellen und mit einer Superhöhe prunken (Pentatone 5187 184). Ingrid Wanja